Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1

einerseits die genetische Evolution einer unbedingten
Voraussetzung, die Sprache erst menschlich macht, des
einzigartigen Denkvermögens des Menschen; davon
andererseits die kulturelle Entwicklung von menschlicher
Sprache als bloßem Mittel zum Austausch spezifisch
menschlichen Denkens.
Menschliche Sprache wird gespeist aus einem ständi-
gen Rückkopplungsprozess zwischen unbewusstem und
bewusstem Denken. Nahezu all unsere Sprache – außer
dem leitenden Gedanken – fließt uns unbewusst zu. Nur
die gleichzeitige gedankliche Kontrolle und nachträgliche
Fehlerkorrektur sind bewusst. Diese Autonomiefähigkeit
macht aus reflexhaft-unbewusstem Denken unbeschränkt
entwicklungsfähiges, daher ein bewusstes Denken des
Menschen. Dann aber muss klar sein: Solange Mutation
und Selektion herrschten – also während der zirka zwei
Millionen Jahre der Evolution der Homininen, die primär
tierische Sprachansätze kennzeichneten –, konnten rein
graduelle Verbesserungen des tierischen Gedankenaus-
tauschs nicht fließend in eine hochflexible und -variable
Kulturentwicklung von Menschen übergehen. Und das
geschah ganz offenkundig auch nicht, obwohl sich das
Gehirnvolumen der Gattung Homo in dieser Zeitspanne
auffälligerweise verdoppelte. Bis eben der vollwertige,
moderne Mensch auftrat, der bei gleich bleibendem
Gehirn den Beginn einer kulturellen Explosion anzeigte.
Alle Fehler Kenneallys sind in ihrer Feststellung ange-
legt: »Bei den Bonobos war nicht die Biologie, sondern die
Kultur entscheidend.« Diese zieht den Kurzschluss vom
Entstehen menschlicher Sprache durch bloße Kumulation
von tierischen Lernerfolgen nach sich: »Das ständig wie-
derholte Lernen erwies sich als Schmelztiegel, in dem
Sprache entstand.« Damit projiziert sie die kulturelle Ent-
wicklung bereits menschlicher Sprache zurück in die Ära
biologischer Evolution. Die vollkommen gegensätzliche
Funktionsweise von Evolution und Entwicklung bleibt aber
Teil des Problems, das die Entstehung menschlicher Spra-
che aufwirft; zumindest solange, wie auch der qualitative
Sprung zwischen Tier und Mensch als solcher nicht er-
kannt wird.


MOND UND PLATTENTEKTONIK


Nach jüngsten Untersuchungen spielten die Bewe-
gungen von Erdplatten bei der Entwicklung des
irdischen Lebens eine entscheidende Rolle. (»Leben
durch Plattentektonik«, Spektrum März 2019, S. 42)


Manfred Schlabbach, Berlin: In dem Artikel von Rebecca
Boyle vermisse ich einen Hinweis auf den Einfluss des
Mondes auf die Plattentektonik. Bekanntlich hat die Um-
drehung der Erde im Lauf von Jahrmillionen abgenommen.
Wo ist diese Rotationsenergie geblieben?
Der Mond kehrt uns immer genau dieselbe Seite zu,
weil ihn die Erde mit ihrer Gravitation zum (zur Erde relati-
ven) Stillstand gebracht hat. Wir wissen nichts über eine


frühere Mondeigenrotation, können also nichts über die
verlorene Rotationsenergie des Mondes sagen.
Auf der Erde ist das anders. Wir sehen den Einfluss
des Mondes auf die Weltmeere, und vermutlich unterlie-
gen auch die Luftschicht und die Erdkruste den Gezei-
ten. Die Erdkruste ist relativ starr, daher können sich
Gezeitenkräfte nur auf das Magma darunter auswirken.
Vielleicht sind das lediglich ein paar Zentimeter, die sich
die Erdkruste zwischen Ebbe und Flut mitbewegt. Es
sind ja auch bloß ein paar Zentimeter, die sich die Konti-
nente im Lauf eines Jahres gegeneinander bewegen.
Letzten Endes wird die gesamte Gezeitenenergie in
Wärme umgewandelt. Es wäre eine interessante For-
schungsaufgabe, die Energiebilanzen zu vergleichen:
den Gezeiteneinfluss des Mondes auf das Magma
einerseits gegen den Energiebedarf für die Platten-
tektonik andererseits.

Die Silfra-Spalte auf Island verbreitert sich auf Grund
des Auseinanderdriftens der eurasischen und der nord-
amerikanischen Platte jährlich um rund sieben
Milli meter. Wirkt daran womöglich auch der Mond mit?

NUDIBLUE / STOCK.ADOBE.COM
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