Spektrum der Wissenschaft - 07.2019

(Jeff_L) #1

FORSCHUNG AKTUELL


CALLAO CAVE ARCHAEOLOGY PROJECT




Seit vielen Millionen Jahren gilt:
Wer nach Luzon will, muss das
Meer überqueren. Auch in Zeiten,
als der Meeresspiegel weit mehr als
100 Meter tiefer lag als heute, trennte
eine Wasserstraße die größte der
philippinischen Inseln vom asiatischen
Festland. Eine sich weitgehend isoliert
entwickelnde Tier- und Pflanzenwelt
gibt Zeugnis davon: Kaum eine Art
kam auf die Insel, kaum eine Art kam
von ihr herunter.
Zu den wenigen Ausnahmen zählt
der Mensch. Seit mindestens
700 000 Jahren ist die Insel anschei-
nend bewohnt. Lange bevor sich der
moderne Homo sapiens in Afrika
entwickelte, hatte jemand auf Luzon
ein Nashorn mit Werkzeugen aus Stein
zerlegt, wie ein im Jahr 2018 vorge-

stellter Fund aus der Provinz Kalinga
zeigte.
Ein Anhaltspunkt, wer dieser Je-
mand gewesen könnte, war bereits
2007 aufgetaucht, als der Archäologe
Armand Salvador Mijares von der
Universität der Philippinen in Quezon-
Stadt mit seinem Team in der Callao-
Höhle auf einen merkwürdig kleinen
Fußknochen stieß. Dieser hätte mit
einem Alter von 67 000 Jahren theo-
retisch zu einem modernen Homo
sapiens gehören können, doch anato-
misch gesehen war das ausgeschlos-
sen. Gehörte er vielleicht einem Nach-
fahren jener uralten Nashornmetzger?
Eine mögliche Antwort gibt es jetzt:
Jene mysteriösen Bewohner der Insel
Luzon zählten aller Wahrscheinlichkeit
nach zu einer Spezies, die vielleicht vor

PALÄOANTHROPOLOGIE


EIN NEUER MENSCH


Unsere Gattung bekommt einen weiteren Verwandten: Der zwergenhafte
Homo luzonensis lebte vor etwa 70 000 Jahren auf einer philippinischen Insel.

vielen Jahrhunderttausenden auf die
Insel kam und hier einen eigenen
Entwicklungspfad einschlug: Homo
luzonensis.
Diesen Schluss zieht das Team um
Florent Détroit vom Muséum national
d’histoire naturelle in Paris, das nun
einen ganzen Schwung neuer Funde
präsentiert. Zu dem bereits entdeckten
Fußknochen gesellen sich insgesamt
zwölf weitere Skelettteile aus der
Callao-Höhle, darunter Fuß- und
Handknochen, Zähne und ein Ober-
schenkel (siehe Bild rechts). Weder
DNA-Reste noch Teile des Gesichts
blieben erhalten. Doch was an Skelett-
bestandteilen vorliegt, unterscheidet
sich so grundsätzlich von anderen
frühmenschlichen Überresten, dass
die Forscher überzeugt davon sind, es

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