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Die Oberkieferzähne von Homo luzonensis (oben) sind wesentlich
kleiner als die von Australopithecus afarensis und Homo sapiens.
Wissenschaftler fanden insgesamt 13 Skelettteile in der Callao-Höhle
(links) auf Luzon, der größten philippinischen Insel.
mit einer bislang unbekannten Art zu
tun zu haben.
Die winzigen Knöchelchen und
Zähnchen erinnern frappierend an das
Skelett des frei nach John R. R. Tolkien
»Hobbit« genannten Homo floresiensis
von der indonesischen Insel Flores.
Auch diese frühen Menschen waren
auf ihrem isolierten Eiland vermutlich
über Jahrhunderttausende ohne
Kontakt zu anderen Populationen ihre
eigenen evolutionären Wege gegan-
gen. Beide erreichten nur rund einen
Meter Körpergröße und hantierten –
sofern man im Luzon-Menschen den
Urheber des 700 000 Jahre alten
Nashornschlachtplatzes sieht – mit
schlichten Steinwerkzeugen. Vermut-
lich war das Gehirn von Homo luzonen-
sis nicht wesentlich größer als das
des Flores-Menschen, dessen Hirnvo-
lumen eher dem eines Schimpansen
gleicht.
Hobbits widersetzen sich jeder
Systematisierung
Im anatomischen Detail unterscheiden
sich die beiden allerdings so deutlich,
dass sie sich nicht als Angehörige
derselben Art auffassen lassen, argu-
mentieren die Forscher. Wie die bei-
den Funde in den Stammbaum des
Menschen einzugliedern sind, bleibt
rätselhaft. Manche Skelettmerkmale
passen eher zu Homo sapiens als zu
anderen möglichen Verwandten – was
nicht sein kann, denn zu jener Zeit
hatte es der anatomisch moderne
Mensch noch nicht bis nach Flores
oder Luzon geschafft.
Die Funde passen genauso wenig
zum Kandidaten, den man nach Lage
der Dinge als Vorfahren erwarten
sollte: Homo erectus. Seitdem dessen
Fossilien vor mehr als 100 Jahren in
Asien gefunden wurden – darunter der
»Java-Mensch« sowie der »Peking-
Mensch« – galt als ausgemacht, dass
es erst dieses aufrecht gehende und
recht passable Werkzeuge herstellen-
de Wesen zu Wege brachte, seinen
Heimatkontinent Afrika zu verlassen.
Doch die Anatomie von Flores- und
Luzon-Mensch verweist auf einen
noch viel urtümlicheren Ursprung.
Viele Merkmale, welche die Forscher
um Détroit und Mijares an Homo
luzonensis beobachteten und die man
auch von Homo floresiensis kennt,
erinnern nicht an Homo erectus, son-
dern an die diversen Australopithecus-
Arten, die vor mehreren Millionen
Jahren im Osten und Süden Afrikas
lebten. Ebenso gibt es Paral lelen zu
den robusten vormensch lichen Par-
anthropus-Arten sowie zum Homo
habilis. Gebogene Hand- und Fuß-
knochen legen nahe, dass der neu
entdeckte Luzon-Mensch sogar noch
an das Klettern angepasst gewesen
sein könnte.
Viele dieser archaischen Merkmale
hatte Homo erectus längst verloren, als
er aus Afrika auswanderte. Dass sie
dann am anderen Ende der Welt bei
seinen Nachfahren wieder auftauchen
sollten, erscheint wenig glaubwürdig.
Der Flores-Mensch galt noch als
evolutionäre Rückentwicklung, wie sie
auf isolierten Inseln mitunter vor-
kommt. Dasselbe Argument für eine
weitere Spezies anzuführen, die eben-
falls aus dem anatomischen Rahmen
fällt, hieße, den Zufall übermäßig in
Anspruch zu nehmen, meint der
Anthropologe Matthew Tocheri von
der Lakehead University im kanadi-
schen Thunder Bay.
All das deutet darauf hin, dass ein
weiterer früher Vertreter der Gattung
Homo aus Afrika in die Welt aufbrach
und Asien erreichte. Vielleicht handelt
es sich sogar um einen unbekannten
Spross der Australopithecus-Linie.
Deren Nachfahren könnten dann in der
Abgeschiedenheit der südostasiati-
schen Inselwelt bis in die jüngste Zeit
überdauert haben – als Zeitgenossen
des asiatischen Homo erectus, der
Denisovaner und schließlich des
anatomisch modernen Menschen.
Und natürlich den Vertretern all jener
Populationen, die noch ihrer Entde-
ckung harren.
Jan Dönges ist Redakteur bei »Spek-
trum.de«.
QUELLEN
Détroit F. et al.: A new species of
Homo from the late Pleistocene of the
Philippines. Nature 568, 2019
Ingicco, T. et al.: Earliest known
hominin activity in the Philippines by
709 000 years ago. Nature 557, 2018
Mijares, S. A.: New evidence for a
67,000-year-old human presence at
Callao Cave, Luzon, Philippines. Journal
of Human Evolution 59, 2010
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CALLAO CAVE ARCHAEOLOGY PROJECT