Spektrum der Wissenschaft - 07.2019

(Jeff_L) #1

FORSCHUNG AKTUELL


SYNTHETISCHE BIOLOGIE


GENETISCHES ALPHABET VERDOPPELT


Zusätzlich zu den vier vorhandenen Buchstaben haben US-Forscher vier neue geschaf-
fen, mit denen die DNA genetische Informationen speichern kann. Der Achtercode
funktioniert wie sein biologisches Vorbild – und beweist, dass Lebensprozesse auch
mit ungewöhnlichen Molekülen möglich sind.

mit Koeffizient null oder eins irreduzi-
bel. Das hat auch handfeste Folgen:
Gerade Kryptografen dürften aufat-
men, denn faktorisierbare Polynome
können das gängige digitale RSA-Ver-
schlüsselungsverfahren untergraben
(siehe »Hintertür in der RSA-Verschlüs-
selung«, S. 27).
Kevin Hartnett ist Wissenschaftsjour-
nalist in Columbia (South Carolina).

QUELLEN
Bary-Soroker, L., Kozma, G.: Irreducib-
le polynomials of bounded height.
ArXiv: 1710.05165, 2017
Breuillard, E., Varjú, P.: Irreducibility of
random polynomials of large degree.
ArXiv: 1810.13360, 2018

Von »Spektrum der Wissenschaft« übersetz-
te und redigierte Fassung des Artikels »In
the universe of equations, virtually all are
prime« aus »Quanta Magazine«, einem in-
haltlich unabhängigen Magazin der Simons
Foundation, die sich die Verbreitung von
Forschungsergebnissen aus Mathe matik
und den Naturwissenschaften zum Ziel
gesetzt hat.

ganzzahligen Koeffizienten widerspie-
gelt: Wenn ein Polynom in allen modu-
laren Zahlensystemen durchschnittlich
drei Nullstellen hat, dann hat es auch
drei Teiler. Gibt es im Durchschnitt nur
eine Lösung, dann hat es lediglich
einen Faktor, und das Polynom ist
irreduzibel.
Mit dieser Methode haben Breuil-
lard und Varjú bewiesen, dass die
Wahrscheinlichkeit, irreduzible Polyno-
me anzutreffen, für immer größere
Terme (mit Koeffizienten null oder eins)
gegen 100 Prozent strebt. Doch ihr
Ergebnis ist lückenhaft. Es hängt von
der Richtigkeit der riemannschen
Vermutung ab, einer der wichtigsten
ungelösten mathematischen Hypothe-
sen, von der die meisten Experten
aber annehmen, dass sie stimmt.
Zwar hatten Mathematiker auch
schon früher erwartet, dass Primpoly-
nome mit wachsender Komplexität die
Oberhand gewinnen, doch sie dach-
ten, dass ihr Anteil viel geringer sei, als
es das Ergebnis von Breuillard und
Varjú voraussagt. Falls die riemann-
sche Vermutung zutreffen sollte, sind
praktisch alle komplizierten Polynome

Breuillard und Varjú wollten dabei
zwei Dinge herausfinden: Wie lange
dauert es, bis die Person auf jedem
Punkt im Zifferblatt mindestens einmal
stehen geblieben ist? Und wann hat
sie jeden Ort ungefähr gleich oft
besucht?
Um diese Fragen zu beantworten,
müssen Breuillard und Varjú die mögli-
chen Wege der Person nachvollziehen.
Diese lassen sich durch Polynome
beschreiben, mit der gewählten Zahl x
als Variable und null oder eins als
Koeffizienten (siehe »Random Walk«,
S. 26). Die Zeitspanne, bis jeder Ort
ungefähr gleich oft abgelaufen ist,
hängt von x ab. Denn jede Lösung
eines Polynoms entspricht einem
Punkt auf dem Zifferblatt. Die Aufgabe
von Breuillard und Varjú läuft daher
darauf hinaus, herauszufinden, wie
viele Lösungen ein Polynom in einem
bestimmten modularen Zahlensystem
hat. Und wie sich zeigte, hängt das
damit zusammen, ob es irreduzibel ist.
Frühere Arbeiten aus den 1980er
Jahren hatten nämlich gezeigt, dass
die Anzahl der Nullstellen eines Poly-
noms die Anzahl seiner Faktoren mit




Das Erbmolekül Desoxyribonukle-
insäure (DNA) jeder Lebensform
unserer Erde speichert Informatio-
nen mit Hilfe von nur vier Schlüssel-
molekülen: den Basen Guanin, Cyto-
sin, Adenin und Thymin (abgekürzt als
G, C, A und T). Nun haben Wissen-
schaftler die Zahl dieser essenziellen
Bausteine im DNA-Molekül verdoppelt
und so eine neue synthetische Gen-
sprache mit acht statt vier Buchstaben
erschaffen. Das erweiterte genetische
Alphabet kann offenbar Informationen
wie in der natürlichen DNA codieren.
Das sollte theoretisch auch in Organis-
men funktionieren, berichtet ein

US-amerikanisches Forscherkonsor-
tium unter der Leitung des Biochemi-
kers Steven Benner.
Die vier bekannten DNA-Basen
formen normalerweise Paare im
Inneren der Doppelhelix, die aus zwei
umeinander gewundenen Strängen
besteht: A bildet Brücken mit T, G mit
C. Seit Langem versuchen Wissen-
schaftler, diesen Vierercode künstlich
zu erweitern. Benner war es schon in
den 1980er Jahren gelungen, unnatür-
liche Basen in DNA-Doppelstränge zu
integrieren. Der Molekularbiologe
Floyd Romesberg vom Scripps Re-
search Institute in La Jolla brachte

2014 ein nicht natürlich vorkommen-
des Basenpaar in lebende Zellen.
Benners jetzige Studie belegt nun
erstmals, wie die komplementären,
nicht natürlichen Basen zusammen-
finden und aneinanderkoppeln –
wobei die Doppelhelix aus DNA-Strän-
gen ihre Bauweise behält.
Benners Team ging von der Mole-
külstruktur der natürlichen DNA-Bau-
steine aus, die über Wasserstoffbrü-
cken an die jeweilige Partnerbase
gebunden sind. Dabei stehen sich
Wasserstoffatome und Stickstoff- oder
Sauerstoffatome räumlich gegenüber,
so dass sie sich gegenseitig anziehen.
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