FORSCHUNG AKTUELL
QUANTENPHYSIK
SCHRÖDINGERS KATZE ERWEITERT IHR REVIER
Physiker haben eines der berühmtesten Gedankenexperimente der Wissenschaftsgeschichte auf
neuartige Weise im Labor verwirklicht – ganz ohne Versuchsstiere.
Deutsche Forscher haben auf
raffinierte Weise zwei scheinbar
getrennte Welten miteinander
verknüpft: die bizarre Quantenphysik
und die anschauliche klassische Phy-
sik. Konkret hat das Team um Gerhard
Rempe vom Max-Planck-Institut für
Quantenoptik in Garching das bekann-
te Gedankenexperiment von »Schrö-
dingers Katze« erstmals mit einem
Laserpuls umgesetzt, der frei durch
das Labor flog. Diese Variante der
gleichzeitig lebenden und toten Katze
könnte aus Sicht der Forscher sogar
eine technische Anwendung haben.
»Was vor 80 Jahren ein rein intellektu-
elles Gedankenspiel war, können wir
immer besser praktisch umsetzen«,
sagt Rempe.
In den 1930er Jahren hatten Physi-
ker wie Erwin Schrödinger und Werner
Heisenberg die Quantenmechanik ent-
wickelt. Mit ihren Gleichungen skiz-
zierten die Wissenschaftler eine be-
fremdliche Realität: Den Gesetzen der
Quantenphysik zufolge ist die Welt der
Atome und Elementarteilchen »verwa-
schen«, wie Schrödinger schrieb. Er
meinte damit, dass sich Objekte nicht
mehr exakt verorten lassen. Vielmehr
kann man nur eine Wahrscheinlichkeit
dafür angeben, ein Quantenobjekt an
einem bestimmten Ort vorzufinden.
Dies spiegelt nicht das Unwissen
des Experimentators wider, sondern
die Realität des Mikrokosmos. Ein
Elektron oder ein Atom lässt sich
demnach ähnlich einer Welle beschrei-
ben, die sich nicht auf einen Punkt
festzurren lässt, sondern ein ganzes
Gebiet einnimmt. Erst ein Beobachter,
der das Teilchen registriert, legt fest,
an welchem Ort die Welle auf einen
Punkt kollabiert – so sieht es zumin-
dest die verbreitete »Kopenhagener
Deutung« der Quantenphysik vor.
Erwin Schrödinger haderte mit den
Implikationen dieser Interpretation.
Durch ein Gedankenspiel wollte er
1935 zeigen, dass die Unschärfe des
Mikrokosmos zu Paradoxien führt,
wenn man sie in die Alltagswelt über-
führt. Er stellte sich eine geschlossene
Kiste vor, die radioaktive Atome und
eine Katze enthält. Ein Geigerzähler
registriert, wenn einer der Atomkerne
zerfallen ist. Das Ausschlagen des
Geräts setzt wiederum Gift frei, das die
Katze tötet.
Tot und lebendig?
Schrödinger nahm an, dass die Wahr-
scheinlichkeit, dass ein Atom zerfallen
ist, nach einer Stunde 50 zu 50 be-
trägt. Solange niemand in die Box
schaut, wären beide Möglichkeiten
real, argumentierte der Österreicher.
So sehen es schließlich die Gesetze
der Quantenphysik vor, die für den
Atomkern gelten. Und weil das Schick-
sal der Katze mit diesem verbunden
ist, sind ihre beiden Zustände gleich
wirklich: Das Tier ist gewissermaßen
sowohl tot als auch lebendig.
Aus Sicht von Physikern sind Katze
und Atom miteinander »verschränkt«.
Erst wenn ein Mensch den Deckel
öffnet, fällt die Entscheidung über das
Schicksal des Tiers. Das aber wider-
spricht unserer Alltagserfahrung,
betonte Schrödinger. Physiker folgern
daher seit Langem: Es muss eine Gren-
ze zwischen dem Mikrokosmos mit
seinen Quantenregeln und unserem
Makrokosmos mit den Gesetzen der
uns vertrauten Physik geben.
Die Forscher glauben dabei nicht an
einen harten Bruch, sondern an einen
gemächlichen Übergang. Demnach
kann prinzipiell auch ein makroskopi-
sches Objekt in der Überlagerung
zweier Zustände verharren, wenn man
es von allen Umwelteinflüssen isoliert.
Aber schon der Zusammenstoß mit
einem Luftmolekül liefert Information
über das Objekt und ist somit das, was
CHRISTOPH HOHMANN, NANOSYSTEMS INITIATIVE MUNICH (NIM)Physiker eine »Beobachtung« nennen.
Bei Schrödingers Katze entscheidet der Zerfall eines Atom-
kerns, ob ein Giftfläschchen geöffnet wird. Mathematisch
entspricht das dem Kollaps einer Wellenfunktion.