Spektrum der Wissenschaft - 07.2019

(Jeff_L) #1

FORSCHUNG AKTUELL


von 0,5 Millimetern gegenüber. Licht
mit der passenden Frequenz konnte in
den Hohlraum dazwischen eindringen,
darin hin- und hergeworfen werden
und wieder austreten. Dabei verschob
sich die Phase der Lichtwelle um
180 Grad. Wo erst ein Wellenberg war,
befand sich anschließend ein Wellen-
tal – und umgekehrt. Licht anderer Fre-
quenzen gelangte nicht in den Hohl-
raum, sondern wurde ohne Phasenver-
schiebung an dessen Außenwand
reflektiert.
In der Mitte einer kleinen Vakuum-
kammer zwischen den Spiegeln
hielten die Forscher ein einzelnes
Atom des Elements Rubidium in der
Schwebe. Dieses brachten sie ge-
schickt dazu, in einer Überlagerung
zweier Zustände zu verharren. Es
fungierte in dem Experiment als eine
Art Türsteher: Der eine Zustand verän-
derte die Frequenz, die das Licht
braucht, um in den Hohlraum eindrin-
gen zu können. In diesem Fall verhin-
derte das Atom den Zutritt des Laser-
pulses in den Hohlraum. Der andere
Zustand ließ alles beim Alten: Das
Licht hatte freien Zugang.
Das Ganze stellte damit eine ausge-
klügelte Variante von Schrödingers
Gedankenexperiment dar. Der Laser-
puls übernahm die Rolle der Katze,
schließlich ist die Phase einer Licht-


welle eine klar definierte Eigenschaft,
die sich makroskopisch bestimmen
lässt. Das Atom im Hohlraum hinge-
gen unterlag dem Wahrscheinlichkeit-
scharakter der Quantenphysik, es
diente also als Analogon zum radioak-
tiven Atomkern in der Box der Katze.
Welchen Zustand es einnimmt, ließ
sich von außen nicht sagen.

Ein Qubit auf Reisen
Aber in dem Experiment bildete sich
eine Verschränkung zwischen Licht-
welle und Rubidiumatom aus, ganz so
wie in Schrödingers Experiment
zwischen Katze und radioaktivem
Atomkern. Statt sich für eine Möglich-
keit zu entscheiden, trat der Laserpuls
in dem Experiment einerseits in den
Hohlraum ein, andererseits blieb er
draußen. Entsprechend verschob sich
einerseits seine Phase um 180 Grad,
andererseits tat sie das nicht. Somit
erweiterte sich die Überlagerung der
Zustände vom Rubidiumatom auf die
Lichtwelle – und konnte sich anschlie-
ßend mit dem Laserstrahl im Raum
ausbreiten. Um die Gleich zeitigkeit von
»tot« und »lebendig« zu verifizieren,
leiteten die Forscher den Puls an-
schließend zu einem Detektor, wo sich
die Wellenzustände überlagerten und
so ihren gemischten Charakter offen-
barten.

Die Arbeit sei ein signifikanter
Fortschritt für die Nutzung von »Kat-
zenzuständen« in Quantennetzwerken,
kommentiert Florian Marquardt vom
Max-Planck-Institut für die Physik des
Lichts in Erlangen, der nicht an der
Studie beteiligt war. Ein solches Netz
würde Quanteninformation vermitteln,
also Quantencomputer verbinden
oder abhörsichere Botschaften aus-
tauschen.
»Unser Katzenzustand ist ein Qubit,
das man auf Reisen schicken kann«,
sagt Rempe. Qubits speichern und ver-
arbeiten die zwei Bitwerte 0 und 1
simultan. Herkömmliche Bits müssen
sich für jeweils einen der Werte ent-
scheiden. Zwar lassen sich reisende
Qubits schon jetzt mit einzelnen
Photonen verwirklichen. Doch auf
Knopfdruck gelang das bisher nicht.
Die Arbeit der Garchinger Forscher
hingegen erzeuge »zum ersten Mal
auf deterministische Art und Weise
Katzenzustände«, erklärt Marquardt.
Das heißt, das Qubit entsteht mit
100-prozentiger Sicherheit bei jedem
Versuch. Für die Quantentechnik
braucht man solche Zuverlässigkeit.
Zudem sei die Methode »konzeptionell
sehr schön, da relativ einfach«, sagt
der Physiker. Das verspreche robuste
Geräte.
Allzu weit reist die Garchinger Vari-
ante von Schrödingers Katze indes-
sen noch nicht, wie Rempe einräumt.
Für Quantennetzwerke bräuchte
man Verbindungen über Kilometer
hinweg. Noch bessere optische
Elemente könnten die Reichweite
erhöhen: »Ein weiterer nächster Schritt
wäre, die fliegende Schrödingerkatze
in einem Quantenspeicher einzu-
fangen«, sagt der Physiker. »Dann
könnte die übertragene Quanten-
information am Zielort weiterverarbei-
tet werden.«
Christian J. Meier ist promovierter
Physiker und Wissenschaftsjournalist in
Groß-Umstadt.

QUELLEN
Hacker, B. et. al.: Deterministic creati-
on of entangled atom-light Schrödinger-
cat states. Nature Photonics 13, 2019
Monroe, C. et. al.: A Superposition
State of an Atom. Science 272, 1996

BASTIAN HACKER, MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR QUANTENOPTIK (MPQ)

Schrödingers Katze im Labor: Ein Atom zwischen zwei Spiegeln
verharrt in einer Überlagerung zweier Zustände (links). Verschränkt
man eine Lichtwelle mit dem Atom, übernimmt sie gewissermaßen
die Unbestimmtheit und trägt diese anschließend als überlagerten
»Katzenzustand« durch den Raum (rechts).

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