geführt hatten, das zwei Jahre zuvor in der Höhle gefunden
worden war. Der kleine Knochen wirkte zunächst un-
scheinbar; umso spektakulärer war, was in ihm steckte: der
genetische Nachweis einer bisher völlig unbekannten
Menschenform – die genauso eng mit dem Neandertaler
verwandt war wie wir. Der Knochen gehörte zu einem
jungen Mädchen, das die Paläoanthropologen zunächst
»X-Woman« tauften und das einer Population angehörte,
die man heute unter dem Namen Denisova-Menschen
kennt. Seither tauchten noch etwa eine Hand voll weiterer
Urmenschenknochen und -zähne in der Höhle auf, sowohl
von Neandertalern als auch von Denisovanern.
Solche ungeahnten Einblicke in die Frühzeit der Mensch-
heitsgeschichte verdanken Urgeschichtler modernen
genetischen Methoden. Die Entschlüsselung alter DNA
lieferte dabei nicht nur den Nachweis bis dahin unbekann-
ter Menschenformen, sondern zusätzlich darüber, wie diese
mit den anatomisch modernen Menschen interagierten. So
können wir außerdem direkt datieren. Für die Altersbestim-
mung muss jedoch ein Teil des Knochens zerstört werden.
Museumskuratoren geben daher meist nur ungern vollstän-
dige Skelettteile aus ihren Sammlungen für eine solche
Analyse her. Weniger Bedenken haben sie bei ohnehin
schon stark fragmentierten Stücken. Durch sie lassen sich
jene Fundorte genauer untersuchen, an denen einst ver-
schiedene Menschenarten gleichzeitig lebten – vor allem,
wenn neben den Knochen dort auch Artefakte zu Tage
gekommen sind.
Etliche Forscher interpretieren insbesondere symboli-
sche Objekte oder frühe Kunstwerke als Ausdruck der
einzigartigen kognitiven Fähigkeiten des anatomisch mo-
dernen Menschen. Andere wiederum trauen den Neander-
talern durchaus zu, ebenfalls derartige Gegenstände herge-
stellt zu haben – vielleicht sogar nach ihren eigenen Tradi-
tionen. Einige ihrer Kenntnisse könnten diese Urmenschen
möglicherweise auch an Homo sapiens weitergegeben
haben. Fossile Fragmente, die gemeinsam mit solchen
kunstvollen Artefakten gefunden wurden, taxonomisch zu
bestimmen und zu datieren, könnte in dieser Debatte für
mehr Klarheit sorgen.
Bereits seit den 1980er Jahren graben russische Archäo-
logen in der Denisova-Höhle. Doch erst 2010 erlangte die
Fundstelle weltweite Berühmtheit. In diesem Jahr veröffent-
lichten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für evolu-
tionäre Anthropologie in Leipzig die Ergebnisse von Gen-
analysen, die sie an einem Fingerknochenfragment durch-
Michael Schunkow (vorne links), Maxim Koslikin (vorne
rechts) und Vladimir Vanejew (hinten rechts) von der
Russischen Akademie der Wissenschaften untersuchen
gemeinsam mit den Autoren Katerina Douka (hinten
links) und Thomas Higham (hinten Mitte) die archäologi-
schen Schichten in der Denisova-Höhle, bevor sie Proben
für die ZooMS-Analyse und die Radiokarbondatierung
auswählen.
SERGEY ZELINSKI, RUSSISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN