für einen Tierknochen gehalten und daher nicht konserviert.
Wir konnten sein Alter darum noch sehr genau bestimmen:
Der Neandertaler, zu dem dieser Knochen gehörte, lebte
vor etwa 47 000 Jahren und damit über 15 000 Jahre früher
an diesem Fundplatz, als man ursprünglich angenommen
hatte.
Wir entschieden uns daher, auch die bereits datierten
Neandertalerknochen aus der Vindija-Höhle erneut zu
untersuchen. Das Ergebnis bestätigte, dass die haltbar
gemachten Knochen falsche Ergebnisse geliefert hatten:
Sie sind unseren Messungen zufolge ebenfalls mehr als
40 000 Jahre alt, so wie auch alle weiteren Proben der
Frühmenschen von diesem Fundort, die bis jetzt datiert
werden konnten. Die Neandertaler scheinen wohl doch
weit früher als vermutet aus Vindija verschwunden zu
sein – vielleicht sogar noch, bevor die ersten anatomisch
modernen Menschen dort ankamen.
Sonderbare Mischung:
Mutter Neandertalerin – Vater Denisovaner
Mittlerweile haben auch andere Forschergruppen mit der
Technik große Erfolge erzielt. 2016 berichteten Frido Wel-
ker, heute am dänischen Naturkundemuseum in Kopenha-
gen, und seine Kollegen, dass sie mit der Methode von bis
dahin nicht identifizierten Knochenfragmenten aus der
Grotte du Renne in Burgund 28 als menschlich einordnen
konnten. Vor Jahrzehnten fanden Forscher dort Neanderta-
lerknochen zusammen mit einer Reihe überraschend kom-
plexer Artefakte, darunter Knochenwerkzeuge, Anhänger
und anderen Körperschmuck – Elemente der so genannten
Châtelperronien-Kultur am Übergang zwischen Mittel- und
Jungpaläolithikum.
Diese Entdeckung stand im krassen Widerspruch zu der
bis dahin vertretenen Vorstellung, Homo sapiens allein sei
zu einem solchen technischen und künstlerischen Einfalls-
reichtum fähig. Und so begann eine bis heute andauernde
Debatte darüber, ob wirklich Neandertaler mit den fort-
schrittlichen Artefakten in Verbindung gebracht werden
können.
Gegner dieser Theorie erwiderten, dass vermutlich die
archäologischen Schichten am Fundplatz gestört worden
waren. Ältere Neandertalerknochen seien dabei mit jünge-
ren Artefakten des Homo sapiens vermischt worden. Die
28 Knochenfragmente, die Welker und seine Kollegen mit
ZooMS als menschlich identifizierten, hatten aber eindeutig
in derselben Schicht gelegen wie die fortschrittlichen Werk-
zeuge und Schmuckgegenstände. Ebenso eindeutig waren
die DNA-Ergebnisse: Die Knochen stammen von Neander-
talern. Das spricht klar dafür, dass die Urmenschen Châtel-
perronien- sowie andere komplexe Techniken beherrschten
und sich künstlerisch betätigten. Sie waren offenbar intelli-
genter, als man es ihnen bisher zugetraut hatte.
Während unserer Arbeit an den Vindija-Knochen gingen
die Untersuchungen an den Proben aus der Denisova-
Höhle weiter. Wir hofften darauf, noch mehr menschliche
Fossilien zu finden. Und wir hatten Glück: Es kamen die
Reste zweier weiterer Urmenschen ans Licht: DC3573, ein
über 50 000 Jahre altes Fragment eines Neandertalers, und
DC3758, ein etwa 46 000 Jahre alter Knochen, der keine
DNA mehr enthielt. Es ist uns gelungen, unter mehr als
5000 Knochenfragmenten insgesamt fünf menschliche
Knochen zu finden, die ohne ZooMS wohl für immer in
Vergessenheit geraten wären.
Die aufregendste Entdeckung stand uns jedoch noch
bevor. Im Mai 2017 trafen wir uns mit Matthias Meyer
und Janet Kelso von Pääbos Labor in Leipzig. Wir wollten
von ihnen wissen, ob sie es geschafft hatten, die Kern-
DNA der Probe »Denisova 11« zu sequenzieren. Es kommt
nicht oft vor, dass man in der Wissenschaft völlig uner-
wartete Nachrichten erhält. Aber Meyer und Kelso lieferten
genau das. Die Kern-DNA, sagten sie, sei eigenartig
ge spalten. Eine Hälfte passe zu einem Neandertaler, die
andere schien von einem Denisova-Menschen zu stammen.
Um wirklich sicherzugehen, wollten sie die Proben noch
einmal analysieren. Nach einigen Monaten hatten wir
Gewissheit: Ihr Ergebnis war korrekt. Die mitochondriale
DNA hatte uns nur die Hälfte des Bildes gezeigt. Was wir
gefunden hatten, war kein Neandertaler, sondern ein Nach-
komme einer Neandertaler-Mutter und eines Denisovaner-
Vaters – eine Hybride der ersten Generation, wie Genetiker
sagen.
Durch die Genanalyse wissen wir auch, dass »Deniso-
va 11« eine Frau war, die vor ungefähr 90 000 bis 100 000
Jahren lebte. Ein CT-Scan ermöglichte es, die Knochendich-
te zu bestimmen. Daran konnte der Anthropologe Bence
Viola von der University of Toronto erkennen, dass sie
mindestens 13 Jahre alt war, als sie starb. In ihrem Erbgut
zeigte sich außerdem, dass ihr Denisovaner-Vater vermut-
lich ebenfalls einen Neandertaler als entfernten Verwandten
hatte – mehrere hundert Generationen zurück.
Wir werden wohl nie erfahren, wie solche Vermischun-
gen in der Vorgeschichte zu Stande kamen. Wir wissen nur,
dass sie passierten. Ebenso wenig können wir feststellen,
woran »Denisova 11« gestorben ist. Möglicherweise hat ein
Raubtier, vielleicht eine Hyäne, ihre Überreste in die Höhle
geschleppt und sich daran gütlich getan. Ob das Mädchen
zuvor von seinen Angehörigen feierlich bestattet wurde
oder ob es dem wilden Tier zum Opfer fiel, bleibt aber
un gewiss.
Seit fast 100 000 Jahren lag dieses winzige Stückchen
ihres Körpers ungestört in der Höhle und hätte noch viele
Jahre dort verborgen bleiben können. Doch dank moderner
wissenschaftlicher Methoden konnten wir dem Knochen
wieder Leben einhauchen und ihm einen spannenden Teil
seiner Geschichte entlocken.
QUELLEN
Brown, S. et al.: Identification of a new hominin bone from
Denisova Cave, Siberia using collagen fingerprinting and
mitochondrial DNA analysis. Scientific Reports 6, 2016
Devièse, T. et al.: Direct dating of neanderthal remains from the
site of Vindija Cave and implications for the middle to upper
paleolithic transition. PNAS 114, 2017
Slon, V. et al.: The genome of the offspring of a neanderthal
mother and a denisovan father. Nature 561, 2018
Welker, F. et al.: Palaeoproteomic evidence identifies archaic
hominins associated with the Châtelperronian at the Grotte du
Renne. PNAS 113, 2016