Spektrum der Wissenschaft - 07.2019

(Jeff_L) #1

Zeit wie Kaugummi. Bei sehr großen Massen hat das
bizarre Konsequenzen, argumentierte Oppenheimer. Hier ist
die Schwerkraft so stark, dass die Zeit praktisch einfriert,
zumindest aus der Perspektive eines außen stehenden
Beobachters. Für ihn müsste es so wirken, als falle die
Materie eines kollabierenden Riesensterns immer weiter auf
den Punkt im Zentrum zu, dessen Dichte dadurch ins
Unendliche wächst. Für das Umfeld dieser Singularität
hätte das extreme Folgen: Sobald etwas einmal den von
Schwarzschild berechneten Radius passiert hätte, den so
genannten Ereignishorizont, könnte es nicht mehr kehrtma-
chen, egal, was passiert.
Bis in den 1960er Jahre hielten die meisten Physiker das
für einen originellen Gedanken ohne praktische Relevanz.
Doch die Entdeckung aktiver Galaxienkerne wie dem in der
Galaxie M87 machte die exotischen Gebilde plötzlich zu
einer plausiblen Möglichkeit. Unter anderem der umtriebige
US-Physiker John Archibald Wheeler setzte sich für Oppen-
heimers Idee ein – er sollte einige Jahre später auch den
Begriff »black hole«, also »Schwarzes Loch« prägen.
Aber gab es die bizarren Objekte wirklich? Von den
1970er Jahren an durchforsteten Astronomen das Weltall
nach ihnen. Die Forscher spürten dabei immer mehr ferne
Galaxien auf, in deren Kern sich ein unsichtbares Monstrum
zu verstecken schien. Bald wurden sie auch in unserer
Milchstraße fündig: Im 6000 Lichtjahre entfernten Sternsys-
tem Cygnus X-1 verschlingt ein etwa 15 Sonnenmassen
schweres Schwarzes Loch einen Stern, was große Mengen
an Röntgenstrahlung freisetzt.
Entdeckungen wie diese legten nahe, dass es die Raum-
zeit-Löcher in ganz verschiedenen Größen gibt. Kollabieren-
de Sterne mit sehr viel Masse hinterlassen offenbar »stella-
re« Schwarze Löcher wie das von Cygnus X-1, die allenfalls
einige Dutzend Sonnenmassen auf die Waage bringen.
Schätzungen zufolge gibt es allein in unserer Galaxie Millio-
nen solcher Objekte. In den allermeisten Fällen emittiert ihr
Umfeld allerdings keine Strahlung. Und selbst wenn: Stella-
re Schwarze Löcher sind viel zu klein, als dass man ihren
Umriss auf Teleskopaufnahmen sehen könnte.
Auch die 1974 von Stephen Hawking prognostizierte
Strahlung, die von Schwarzen Löchern selbst ausgehen
soll, kam nicht für einen Nachweis in Frage. Rechnungen
zufolge war sie viel zu schwach, um sie mit Teleskopen
aufzufangen. Im Zentrum von Galaxien sah die Sache
jedoch anders aus. Hier müssten die extremen Objekte
millionen-, wenn nicht sogar milliardenfach mehr Masse
haben und entsprechend größer sein, argumentierten
Forscher in den 1970er Jahren. Und viele dieser »supermas-


sereichen« Schwarzen Löcher müssten von Millionen Grad
heißer Materie umgeben sein. Darunter auch Elektronen, die
fast mit Lichtgeschwindigkeit umhergeschleudert werden
und dabei große Mengen Strahlung abgeben.
Nach und nach tauchten immer mehr Hinweise auf, dass
sich etwas Ähnliches auch im Herzen der Milchstraße ab-
spielt. Das dortige Schwarze Loch war jedoch offensichtlich
bei Weitem nicht so aktiv wie das im Kern von M87, dessen
Zentrum zwei gewaltige Materiestrahlen ins All feuert (siehe
Bild oben). Trotzdem müsste man es aufspüren können,
argumentierten Astrophysiker – nicht zuletzt über seine enor-
me Schwerkraft. Mit der Zeit wurden die innersten Lich tjahre
unserer Galaxie zu einer der am besten studierten Regionen
der Astronomie. Teleskope spürten dort allerlei exotische
Dinge auf: gewaltige Magnetfeldbogen, an denen Elektronen
wie an einer Wendeltreppe hinaufklettern. Rasant vorüber-
ziehende Wolken aus heißem Gas. Blaue Riesensterne, die
mit tausenden Kilometern pro Sekunde durchs All schießen.

10 000-mal kleiner als das, was das Weltraumteleskop
Hubble beobachten kann
Das Schwarze Loch in Sagittarius A* stellte jedoch nur einen
winzigen Punkt in diesem Chaos dar. Seine Größe schätzten
Forscher damals auf ein Dutzend Millionen Kilometer, das
Neunfache des Durchmessers unserer Sonne. Aus heutiger
Sicht hatte man die Größe des Schwarzen Lochs damit um
50 Prozent unterschätzt. Und so gingen Experten noch zu
Beginn der 1990er Jahre davon aus, dass man das Masse-
monster mit irdischer Technik schlicht nicht erfassen könnte:
In 26 000 Lichtjahren Entfernung würde der Ereignishorizont
10 000-mal kleiner als das erscheinen, was das Hubble-Welt-
raumteleskop auflösen kann. Das hielt Radioastronomen
zwar nicht davon ab, ihre Parabolschüsseln immer wieder
gen Sagittarius A* zu richten. Aber alles, was sie sahen, war
ein verschwommener Fleck, der allenfalls Rückschlüsse auf
die weitläufige Umgebung im galaktischen Zentrum zuließ.

JORDY DAVELAAR ET AL./RADBOUD UNIVERSITY/BLACKHOLECAM (WWW.ESO.ORG/PUBLIC/ GERMANY/IMAGES/ESO1907F/) / CC BY 4.0 (CREATIVECOMMONS.ORG/LICENSES/BY/4.0/LEGALCODE)
Simulation des aktiven Galaxienkerns von M87: Das
Schwarze Loch in der Mitte ist von einer rotierenden
Scheibe aus Gas und Staub umgeben. Senkrecht dazu
entweichen zwei Jets aus heißer Materie.

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