Die Lage ändert sich erst in den 1990er Jahren. Der
junge deutsche Astrophysiker Heino Falcke forscht damals
am Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie. Seit
seiner Doktorarbeit interessiert er sich brennend für das
Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße. Entweicht
Radiostrahlung nur in großem Abstand von ihm oder auch
in unmittelbarer Nähe? Die unscharfen Mess daten zu dieser
Zeit sind mit beiden Szenarien kompatibel. Doch bereits
1992 hat Falcke gemeinsam mit Kollegen ein Modell entwi-
ckelt, dem zufolge die Strahlung von knapp oberhalb des
Ereignishorizonts kommen müsste, von dort, wo Materie in
den Schlund des Monsters rutscht.
Aber kann man das von der Erde aus wirklich beobach-
ten? Genau wie seine Kollegen ist Falcke zunächst pessimis-
tisch. Doch eines Tages blättert er in der Bibliothek des
Bonner Max-Planck-Instituts durch einen alten Tagungs-
band – und stößt per Zufall auf eine Arbeit aus dem Jahr
1973, die bis dahin kaum Beachtung gefunden hat. Der
US-Amerikaner James M. Bardeen rechnet darin aus, wie es
wirken würde, wenn ein Stern direkt hinter einem Schwarzen
Loch stünde. In diesem Fall sähe ein Beobachter den Stern
trotzdem, denn Licht kann einen Bogen um das masserei-
che Objekt machen. Die Umrundung klappt jedoch nur bis
zu einem bestimmten Orbit: Fliegt ein Lichtteilchen zu nah
am Schwarzen Loch vorbei, wird es auf Bahnen gezogen,
die es im Inneren verschwinden lassen.
Auf einer Teleskopaufnahme würde dieser Rand – die
Physiker sprechen vom »letzten Photonenorbit« – klar
hervortreten. Was die Größe der Struktur anbelangt (Falcke
und seine Kollegen werden sie später »Schatten« taufen),
kommt Bardeen zu einem überraschend ermutigenden
Ergebnis: Der Schatten müsste einen 2,5-mal so großen
Durchmesser wie der Ereignishorizont haben, denn das
Schwarze Loch verformt die umliegende Raumzeit zu einer
Art überdimensionierter Lupe.
»Das war der Aha-Moment«, erinnert sich Falcke. Denn
er erkennt, dass die Überlegung seines US-amerikanischen
Kollegen auch gelten könnte, wenn ein Schwarzes Loch von
heißer Materie umgeben ist. Ein ähnliches Szenario hatte der
französische Astronom Jean-Pierre Luminet bereits 1979
durchgespielt. Falcke kennt den Aufsatz nicht, stellt aber auf
Basis von Bardeens Abschätzungen fest, dass Sagittarius A*
wider Erwarten groß genug wäre für eine Beobachtung von
der Erde aus.
Die Rechnungen passen auch gut zu Messdaten aus dem
galaktischen Zentrum, die Falckes Kollegen Anton Zensus
und Thomas Krichbaum zu dieser Zeit am Bonner Max-
Planck-Institut vorstellen. Sie lassen zwar noch keinen
Rückschluss auf Details zu. Mit etwas Optimismus kann man
sie allerdings so extrapolieren, dass es in der Mitte von
Sagittarius A* einen Bereich gibt, aus dem keine Strahlung
entweicht.
Zensus und Krichbaum werden sich in den kommenden
Jahrzehnten zu einer treibenden Kraft entwickeln, wenn es
darum geht, mit immer mehr und besseren Teleskopen gen
Sagittarius A* zu blicken. Zunächst ist es aber ihr jüngerer
Kollege Falcke, der selbstbewusst auf Konferenzen verkün-
det, man könne ein Bild des Schattens von Sagittarius A*
machen. Anfangs wird er dafür zuweilen belächelt, mit der
Zeit bröckelt die Skepsis seiner Kollegen jedoch.
Der endgültige Wendepunkt ist hier ein Fachaufsatz aus
dem Jahr 2000, den Falcke gemeinsam mit seinen Kollegen
Fulvio Melia und Eric Agol schreibt. Das Trio legt darin en
détail dar, wie die Beobachtung gelingen könnte. Den
Schlüssel sehen die Astrophysiker in einer Technik namens
»Very Long Baseline Interferometry«, kurz VLBI. Das Verfah-
ren ist in jenen Tagen bereits etabliert; unter anderem die
Bonner MPI-Gruppe um Anton Zensus arbeitet damit. Bei
VLBI blicken Astronomen mit mehreren weit entfernten
Radioteleskopen auf dieselbe Quelle am Himmel. Mit Hilfe
extrem präziser Atomuhren halten die Astronomen an jedem
der Standorte fest, wann eine Radiowelle das jeweilige
Teleskop erreicht hat. Anhand dieser Zeitstempel fügen die
Forscher die Ergebnisse anschließend mit einem Supercom-
Auf die Auflösung kommt es an
Wer Genaueres über weit entfernte
Regionen im Weltall lernen will,
braucht ein Teleskop mit hoher
Auflösung, also mit der Fähigkeit,
trotz der gewaltigen Entfernungen
Strukturen möglichst detailliert
abzubilden.
Eine Formel aus der Astronomie
gibt hier seit Langem das Limit vor:
Der gerade noch auflösbare Win-
kelabstand zwischen zwei Punkten
am Nachthimmel (O) ist proportio-
nal zur Wellenlänge der verwende-
ten Strahlung (h) und umgekehrt
proportional zur Größe des Teles-
kops (D): O ≈ h/D. Große Parabol-
schüsseln wie das 100-Meter-Teles-
kop in Effelsberg erreichen eine
Winkelauflösung von etwa zehn
Bogensekunden – das entspricht
0,5 Prozent der Ausdehnung des
Vollmonds am Nachthimmel. Der
Ring um das Schwarze Loch im
Zentrum von M87 hat am Firma-
ment jedoch gerade mal eine Größe
von 42 millionstel Bogensekunden
(0,000002 Prozent des Vollmond-
durchmessers).
Aber mit einem Trick lässt sich
das Auflösungsvermögen deutlich
verbessern: Astronomen kombinie-
ren dazu die Aufnahmen mehrerer
über den Globus verteilter Observa-
torien. Bei dieser Very Long Base-
line Interferometry (VLBI) kann man
den Abstand zwischen zwei weit
entfernten Standorten als Teleskop-
durchmesser in die obige Formel
einsetzen. Für einen erdumspan-
nenden Verbund aus Teleskopen,
die Strahlung mit einer Wellenlänge
von 1,3 Millimetern auffangen,
ergibt sich eine maximale Auflö-
sung im Bereich von 20 millionstel
Bogensekunden – gerade genug,
um das Schwarze Loch in M87
sowie das im Zentrum der Milch-
straße erkennen zu können.