50 Spektrum der Wissenschaft 7.19
sorgt der ERC-Grant für Unmut bei manchen Forschern des
Event Horizon Telescope, allen voran bei Doeleman.
In Amerika stockt allerdings die Forschungsförderung,
das Geld für das EHT ist knapp. Und so finden sich europäi-
sche und amerikanische Radioastronomen bald in zähen
Verhandlungen über einen Zusammenschluss der Initiativen
wieder. Auf einer Konferenz in Waterloo im November 2014
einigt man sich schließlich auf eine Organisationsstruktur
für die Event Horizon Collaboration. Letztlich wird Doele-
man Direktor, Falcke Leiter des Wissenschaftsausschusses,
und Zensus nimmt als Vorsitzender des Kollaborationsrats
eine Vermittlerrolle ein.
Die letzten offenen Fragen räumen die Forscher aber erst
aus, als das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array
(ALMA) sie zu einer Einigung zwingt. Die 66 Parabolanten-
nen im chilenischen Hochland bilden seit ihrer Einweihung
im Jahr 2013 das weltweit leistungsfähigste Observatorium
für Millimeter-Strahlung. Und nach und nach realisieren die
Forscher, dass sie es unbedingt brauchen, wenn das Event
Horizon Telescope ein Erfolg werden soll. Die Leitung von
ALMA legt allerdings großen Wert auf internationale Zu-
sammenarbeit – kein Wunder, schließlich wird der Teles-
kopverbund außer von der Europäischen Südsternwarte
ESO auch von einer amerikanischen und einer japanischen
Forschungsorganisation betrieben. Doeleman und seinen
Kollegen wird klar: Sie können ALMA nur dann verwenden,
wenn sie mit Falckes ERC-Projekt und asiatischen Wissen-
schaftlern zusammenarbeiten.
Und so kommt es, dass im April 2017 acht um den
Globus verteilte Observatorien in Richtung Sagittarius A*
und M87 blicken. Neben ALMA ist auf europäischer Seite
auch das 30-Meter-Teleskop IRAM in der spanischen Sierra
Nevada beteiligt, das unter anderem von der Max-Planck-
Gesellschaft betrieben wird, sowie das APEX-Teleskop in
Chile. An allen Standorten ist der Himmel klar, selbst am
South Pole Telescope, das als Teil der Amundsen-Scott-
Südpolstation 2800 Meter über dem Meeresspiegel arbei-
tet. Da es M87 zu dieser Zeit des Jahres nicht sehen kann,
dient es vor allem zur Kalibrierung der Beobachtungen.
Stunde für Stunde verfolgen die Teleskope ihre Ziele am
Himmel. Nach drei Tagen sind die übernächtigten Forscher
zu erschöpft, um weiterzumachen. Zwei Tage später setzen
sie die Beobachtung noch einmal fort – und sammeln erneut
zwei Nächte lang wertvolle Daten. Ein halbes Jahr dauert es,
bis alle Festplatten am MIT sowie am Max-Planck-Institut für
Radioastronomie angekommen sind – vom Südpol können
sie erst nach Ende des antarktischen Winters ausgeflogen
werden. An speziell programmierten Supercomputern fügen
die Wissenschaftler die Messreihen zusammen. In mühsa-
mer Kleinstarbeit trennen sie Radiowellen von Rauschen und
suchen nach Fehlern. Erst nach Monaten sind die Daten so
weit »kalibriert«, dass andere Arbeitsgruppen aus den Radio-
wellen ein Bild rekonstruieren können.
In dieser Phase wird den Forschern klar, dass die Beob-
achtungsdaten von M87 die reichste Beute versprechen. Das
dortige Schwarze Loch ist zwar 2000-mal so weit entfernt
wie das im Zentrum unserer Milchstraße. Aber dafür ist es
auch 1500-mal schwerer und damit entsprechend größer. Es
nimmt daher fast dieselbe, winzige Fläche am Nachthimmel
ein. Und im Vergleich zu Sagittarius A* verändert sich sein
direktes Umfeld deutlich langsamer. Die Materie in der
Akkretionsscheibe benötigt Tage, um sich sichtbar zu ver-
schieben – im Zentrum der Milchstraße geschieht dies
binnen Minuten. »Es ist so, als wollte man ein herumzap-
pelndes Kleinkind mit einer langsamen Kamera fotografie-
ren«, sagt Falcke.
Die Astrophysiker konzentrieren ihre Ressourcen bei der
Bilderstellung daher ganz auf M87. Das Prozedere ist nicht
weniger mühsam als die Datenaufbereitung, schließlich
haben die Radiowellen-Observatorien nur an acht Punkten
auf der Erdkugel Daten aufgezeichnet. Theoretisch ist also
eine Vielzahl von Bildern mit den aufgezeichneten Daten-
punkten kompatibel. »Das Ganze ähnelt einem Puzzle, in
dem man nur ein paar Teile hat«, sagt EHT-Forscherin Moni-
ka Moscibrodzka von der Universität Tübingen.
Ein leuchtender Kranz, der einen dunklen Kreis
umschließt
Vier Gruppen arbeiten unabhängig voneinander daran, aus
diesen Teilen das plausibelste Bild zusammenzusetzen. Dazu
vergleichen sie die aufgefangenen Radiowellen mit zehntau-
senden am Computer erstellten Bildern, die alle denkbaren
Seit seiner Inbetriebnahme 2013
zählt ALMA zu den leistungs-
fähigsten Observatorien der Welt.
Die 66 Parabolantennen stehen
auf einer staubtrockenen
Hochebene in der chilenischen
Atacama-Wüste. Hier stört
nur noch wenig Wasserdampf
den Blick auf die Milchstraße.
P. HORÁLEK/ESO (WWW.ESO.ORG/PUBLIC/GERMANY/IMAGES/ESO1907D/) / CC BY 4.0 (CREATIVECOMMONS.ORG/LICENSES/BY/4.0/LEGALCODE)