Spektrum der Wissenschaft - 07.2019

(Jeff_L) #1

Möglichkeiten abdecken. Umso größer ist die Erleichte-
rung, als die vier Teams schließlich ihre Ereignisse verglei-
chen: Sie alle haben einen leuchtenden Kranz rekonstruiert,
der einen dunklen Kreis umschließt.
Damit ist aber noch die Frage offen, was denn nun auf
der rekonstruierten Aufnahme genau zu sehen ist. Unter
anderem das Frankfurter Team um Luciano Rezzolla erstellt
mit einem eigens programmierten Computercode hunderte
Szenarien für die komplizierten Abläufe im unmittelbaren
Umfeld des Schwarzen Lochs. Für jedes von ihnen muss
ein Supercomputer mit knapp 1000 Prozessorkernen tage-
lang rechnen. Dank dieser magneto-hydro dynamischen
Simulationen können die Wissenschaftler letztlich ermit-
teln, welche physikalischen Vorgänge am besten zu dem
rekonstruierten Bild des EHT passen.
Am Ende ähnelt die Aufnahme aus dem Zentrum von
M87 am ehestem dem, was viele Forscher im Vorfeld
vermutet hatten: dem Schatten eines Schwarzes Lochs, das
von heißer Materie umgeben ist. Und vieles spricht dafür,
dass es sich um ein rotierendes Exemplar handelt, so wie
es der Neuseeländer Roy Kerr 1963 erstmals beschrieben
hat. Mit dieser Kerr-Metrik jedenfalls ließe sich erklären,
dass der untere Rand des Rings heller erscheint. Hier be-
wegt sich die strahlende Materie auf den Beobachter zu,
vermuten die Forscher. In diesem Fall träte ein an den
klassischen Doppler-Effekt erinnerndes Phänomen aus der
Relativitätstheorie auf, das »relativistische Beaming«, das
die eine Seite des Kranzes aufhellt.
Wie es in der Umgebung des Schwarzen Lochs genau
aussieht, können die Forscher allerdings noch nicht sagen.
Dazu ist zum einen die Aufnahme noch nicht scharf genug.
Zum anderen machen es Schwarze Löcher neugierigen
Beobachtern denkbar schwer. Die Masseklumpen lenken
Strahlung stark um, so dass man nicht immer genau sagen
kann, wo ein auf dem Bild verewigter Lichtstrahl seinen
Ursprung hat. Auch ändert sich das Bild je nach Blickrich-
tung, wie Simulationen von Luciano Rezzolla zeigen (siehe
Grafik S. 49). Im Fall von M87 gehen die Astrophysiker


davon aus, dass man von der Erde aus fast direkt von oben
auf die Akkretionsscheibe blickt, unter einem Winkel von
17 Grad zur Totalen. Das Licht auf der EHT-Aufnahme, oder
zumindest ein Teil davon, könnte dabei auch vom Ursprung
des uns zugewandten Jets stammen.
Offen ist auch die Frage, wie gut die Aufnahme zu den
Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie passt.
Spätestens hinter dem Ereignishorizont, in der Singularität,
müsste das Regelwerk für die Gravitation ihre Aussagekraft
verlieren. Zeigen sich vielleicht bereits im Umfeld Abwei-
chungen? »Bisher stehen unsere Beobachtungen in gutem
Einklang mit Einsteins Theorie«, sagt Rezzolla. Ein rotieren-
des Schwarzen Loch ist jedoch nur eine der denk baren
Lösungen für die Gleichungen der Relativitätstheorie. Immer
wieder haben Physiker auch Alternativen diskutiert. Einige
sehr exotische Möglichkeiten können die Forscher nun
ausschließen: Unter anderem »nackte« Singularitäten und
bestimmte Typen von Wurmlöchern passen überhaupt nicht
zu dem Bild aus dem Zentrum von M87.
Generell sei die Bedeutung des Bildes immens, findet
Rezzolla: »Wir haben das mathematische Konzept eines
Ereignishorizonts, das ich bisher lediglich in Vorlesungen an
die Tafel schreiben konnte, in ein physikalisches Objekt
verwandelt.« Man könne dieses Objekt nun immer wieder
beobachten und Theorien damit testen. »Das ist ein funda-
mentaler erster Schritt, wenn man wissenschaftlich voran-
kommen will.«
Gelegenheit dazu wird es in Zukunft vermutlich immer
wieder geben. Zunächst wollen die Forscher noch den
Datensatz des Jahres 2018 auswerten. Ob er das Bild des
Schwarzen Lochs aus M87 oder dem Zentrum der Milch-
straße deutlich verbessern kann, ist unklar: »Das Wetter war
schlecht, und zu allem Überfluss fiel auch noch ALMA aus«,
sagt Falcke. 2019 sagten die Astronomen die Beobach-
tungskampagne kurzerhand ab, unter anderem weil sich die
Sicherheitslage in Mexiko stark verschlechtert hatte.
Aber im Frühling 2020 wollen die Forscher erneut um
den Globus verteilte Parabolantennen koppeln, diesmal
auch mit Instrumenten in Frankreich und auf Grönland.
Mittelfristig werben Falcke und Kollegen außerdem für den
Bau eines Observatoriums in Namibia. Und irgendwann
wollen die Forscher dann ganz hoch hinaus: Mit zwei oder
drei Radioteleskopen, die in einem Erdorbit schweben,
könnte man Schwarze Löcher noch besser beobachten –
völlig unabhängig vom Wetter auf der Erde. 

QUELLEN
Doeleman, S. et al: Event-horizon-scale structure in the super-
massive black hole candidate at the Galactic Center. Nature
10.1038/nature07245, 2008
Falcke, H. et al.: Viewing the shadow of the black hole at the
galactic center. The Astrophysical Journal 528, 2000
Krichbaum, T. P. et al.: VLBI observations of the galactic
center source Sgr A* at 86 GHz and 215 GHz. Astronomy &
Astrophysics 335, 1998
The Event Horizon Telescope Collaboration: First M87 Event
Horizon Telescope Results. The Astrophysical Journal Letters
875, 2019

Heino Falcke, Luciano Rezzolla und Michael Kramer (von
links nach rechts) erhielten 2013 eine hoch dotierte Förde-
rung von der Europäischen Union. Sie spielte eine Schlüs-
selrolle in der Geschichte des Event Horizon Telescope.


DICK VAN AALST/UNIVERSITÄT NIJMEGEN (WWW.MPG.DE/7676792/ERC_SYNERGY_GRANTS_2013)
Free download pdf