Spektrum der Wissenschaft - 07.2019

(Jeff_L) #1

Spektrum der Wissenschaft 7.19 55


Michael E. Mann ist Professor für
Atmosphärenforschung und Direktor
des Earth System Science Center
an der Pennsylvania State University.
Er hat mehrere Bücher verfasst.

 spektrum.de/artikel/1647840

Spektrum der Wissenschaft 7.19 55





Das Wetter spielt verrückt, hört man immer häufiger.
Und tatsächlich haben sich gerade in den letzten
Jahrzehnten verheerende Wettereignisse im Sommer
gehäuft: beispielsweise die Hitzewelle in Europa im Jahr
2003, Waldbrände in Russland 2010 und die gleichzeitigen
Überflutungen in Pakistan, die zahlreiche Todesopfer for-
derten. Während des Hitzesommers 2018 in Mitteleuropa
wüteten auch in Kalifornien Waldbrände, und zeitgleich
wurde der Nordosten der USA von starken Regenfällen und
Überflutungen heimgesucht. Das ist kein Zufall, wie meine
Kollegen und ich glauben: Denn all diesen Vorfällen ge-
meinsam war ein ungewöhnliches Verhalten des Jet-
streams. Dieser Luftstrom weht als ein schmales Band in
acht bis zwölf Kilometer Höhe von West nach Ost rund um
die Nordhalbkugel etwa über Mitteleuropa und weiter

entlang der Grenze zwischen den USA und Kanada. Manch-
mal bewegt er sich relativ geradlinig, er kann aber auch
große s-förmige Kurven nach Norden und Süden beschrei-
ben. Während sich solche Biegungen vorwärtsschlängeln,
befördern sie warme Luft nach Norden oder kühle Luft
nach Süden, was dort jeweils Niederschläge verursacht. So
bestimmt der Jetstream unser tägliches Wetter.
Während der genannten Wetterextreme verhielt sich der
Jetstream anders als sonst: Seine Kurven dehnten sich
außerordentlich weit nach Norden und Süden aus – und
statt wie gewöhnlich weiter in Richtung Osten zu ziehen,
blieben sie an Ort und Stelle stehen. Je ausladender die
Kurve, desto extremer wird das Wetter in den Regionen, die
der nördliche Wellenberg beziehungsweise das südliche
Wellental einschließen. Bleiben die Wellen dann stehen,
wie zum Beispiel im Sommer 2018 in den USA, bekommen
die Gegenden, die sich direkt unterhalb der Kurven des
Jetstreams befinden, je nach ihrer Lage tagelang heftigen
Regen oder sengende Hitze zu spüren. Die Folge sind
Rekordfluten beziehungsweise Dürren, Hitzewellen und
Waldbrände.
Durch die globale Erwärmung treten solche stark aus-
gebeulten, stehenden Wellenmuster, die extremes Wetter
begünstigen, immer häufiger auf. Das haben wir 2017
gezeigt. Nach unseren Vorhersagen werden sie in den
nächsten Jahrzehnten jedoch nicht mehr so stark zulegen,
wie es bisher der Fall war. Das ist aber kein Grund, auf zu-
atmen: Denn etwa ab dem Jahr 2050 werden auffällige
Wet ter ereignisse deutlich heftiger werden, vor allem im
Sommer, sagen unsere Prognosen. Immer verheerendere

GETTY IMAGES / AFP / JOSH EDELSON

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