Spektrum der Wissenschaft - 07.2019

(Jeff_L) #1
gleichung und beschreibt eine Sinuskurve, ein liegendes S,
genau wie der gewundene Jetstream. Das Elektron verhält
sich also nicht ausschließlich wie ein Teilchen, sondern
auch wie eine Welle.
Interessant wird es, wenn die Wände keine unendlich
hohe potenzielle Energie mehr besitzen, sondern eine
endlich hohe. Dann kann das Elektron mit einer geringen
Wahrscheinlichkeit tatsächlich in die Wand eindringen
und – wenn diese dünn genug ist – sogar durch sie hin-
durchgelangen: Man spricht vom Tunneleffekt. An der
gegenüberliegenden Wand besteht dieselbe Wahrschein-
lichkeit. Der Behälter, in dem sich das Elektron größtenteils
aufhält, hat quasi zwei kleine »Löcher«.
Dasselbe Bild bietet sich, wenn man sich einen dreidi-
mensionalen Hohlleiter wie etwa ein Koaxialkabel vorstellt,
der ganz leicht undicht ist. Die Gleichungen, welche die
Objekte innerhalb des Hohlleiters beschreiben, kann man
mit einem mathematischen Trick lösen, der so genannten
WKB- Approximation (benannt nach den drei Wissenschaft-
lern, die sie 1926 eingeführt haben – Gregor Wentzel,
Hendrik Kramers und Léon Brillouin). Diese Annäherung
wird in der Quantenmechanik für viele Wellengleichungen
verwendet und hilft bei der Entwicklung praktischer Elekt-
ronikteile wie Tunneldioden in Smartphones.
In den frühen 1980er Jahren demonstrierten David
Karoly, heute bei der australischen Commonwealth Scien-
tific and Indus trial Research Organisation, und Brian Hos-
kins von der University of Reading in England, dass sich die
Erdatmosphäre wie ein Hohlleiter für stehende Rossby-
Wellen verhalten kann, wenn diese bestimmte kurze Wel-
lenlängen aufweisen. Konkret ist das der Fall bei sechs bis
acht vollen Wellen um die Nordhalbkugel.

Verheerende Überschwemmungen, hervorgerufen
durch den atmosphärischen Effekt der so genannten
Quasiresonanzverstärkung, setzten weite Teile
Pakistans im Jahr 2010 unter Wasser.

Bilden sich stehende Wellen aus, können die Ausschläge
unter bestimmten Umständen in ihrer Amplitude wachsen.
Dieses physikalische Phänomen ist als Resonanz bekannt.
Im Sommer geschieht genau das öfter mit Rossby-Wellen,
ein Effekt, der als Quasiresonanzverstärkung (QRA, eng-
lisch: quasi-resonant amplification) bezeichnet wird. Im Jahr
2013 zeigten Vladimir Petoukhov und seine Mitarbeiter am
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dass es von der
Form des Jetstreams abhängt, ob die Bedingungen für QRA
günstig sind. Der Klimawandel kann diese beeinflussen –
und damit auch die QRA sowie die Häufigkeit extremer
Sommerwetterereignisse.
Interessanterweise hilft die Quantenmechanik zu verste-
hen, wie diese Faktoren zusammenwirken. In der klassi-
schen Physik kann man ein Elektron gedanklich in einen Be-
hälter »einsperren«, wenn dessen Wände unendlich hohe
potenzielle Energie besitzen. Das Elektron kann die Wände
nicht passieren und hüpft daher zwischen ihnen hin und
her – würde man von der Seite auf den Behälter blicken,
sähe man es unaufhörlich auf einer geraden Linie von links
nach rechts und wieder zurück springen.
Die quantenmechanische Sicht auf das Gedankenexperi-
ment ist etwas anders: Das Elektron hat keine definierte
Position mehr. Man kann aber mittels der berühmten
Schrödinger-Gleichung die Wahrscheinlichkeit angeben, wo
das Elektron am ehesten anzutreffen ist. Sie ist eine Wellen-

GETTY IMAGES / CORBIS / GIDEON MENDEL

Free download pdf