läufe, warnten vor kritischen Tagen und gaben Hinweise für
die Therapie. Andere befassten sich mit der Entstehung von
Krankheiten und erklärten beispielsweise die Epilepsie mit
einem Ungleichgewicht von Körperflüssigkeiten (siehe »Auf
den Schultern von Hippokrates und Galen«, Spektrum Juni
2019, S. 78).
Bei Isidor wird überdies deutlich, dass die Heilkunst im
Frühmittelalter unter Geistlichen umstritten war. Manche
kritisierten, Krankheit sei eine Strafe oder Prüfung Gottes
und der Mensch dürfe daher nicht eingreifen. Isidor hielt
solchen Argumenten die Bibel entgegen: »Die Heilkraft
der Medizin darf nicht gering geschätzt werden. Wir erin-
nern uns nämlich, dass Jesaia dem erkrankten Hiskia ein
Heilmittel empfohlen hat, und der Apostel Paulus sagte
zu Timotheus, dass eine kleine Menge Wein nützlich sei.«
200 Jahre später waren solche Ansichten ohnehin Ge-
schichte. Die Organisation der Heilkunst wurde Chefsache:
Karl der Große ( 747/748–814), König der Franken und erster
westliche Kaiser des Mittel alters seit dem Ende des West-
römischen Reichs, ver pflichtete die Krongüter und Klöster
zum Anbau von Heilpflanzen, Mönchen erlegte er zudem
die medizinische Versorgung der Bevölkerung auf. Für viele
Medizinhistoriker markiert dies den eigentlichen Beginn der
Epoche der Klosterme dizin.
Eine Vorreiterrolle kam wohl den Mönchen der Boden-
seeinsel Reichenau zu. Sie entwickelten zwischen 819 und
826 einen Grundriss für das Kloster St. Gallen, das einen
umfangreichen Neubau plante. Der St. Galler Klosterplan
(siehe S. 75) sollte in Europa zum Standard werden. Neben
funktionalen Komponenten wie Kirche, Kreuzgang, Schreib-
stube, Speise- und Schlafsäle, Küche, Badehaus, Latrine
und Spital umfasste er auch einen Kräutergarten. Ent-
sprechend der von Karl dem Großen erlassenen Verord-
nung waren darin 16 Heilpflanzen vorgesehen, darunter
Salbei, Kerbel, Minze, Fenchel, Schlafmohn und die seit
der Antike gegen unterschiedlichste Leiden wie Atemnot
und Magenbeschwerden eingesetzte Eberraute. In seinem
etwa 20 Jahre später verfassten Lehrgedicht über den
Gartenbau, »Liber de cultura hortorum«, kurz »Hortulus«,
listete der Reichenauer Abt Walahfrid Strabo schon
24 Heilpflanzen auf, zehn aus dem Kräutergarten und vier,
die laut Klosterplan im Gemüsegarten kultiviert werden
sollten, sowie zehn, die neu hinzukamen. Zu letzteren
gehörte auch der heutzutage wenig bekannte Andorn
(Marrubium vulgare) – ein guter Schleimlöser bei Husten –
und der in der Medizin außer Gebrauch gekommene Heil-
Ziest (Betonica officinalis), der wie die Eberraute als All-
heilmittel galt.
Zur Klostermedizin gehörten durchaus Aderlässe und
Bäder, im St. Galler Klosterplan gibt es dazu ein eigenes
Gebäude. Über chirurgische Eingriffe ist kaum etwas über-
liefert. Den Kern dieser Heilkunde bildete offenbar der
Einsatz von Heilpflanzen, der deshalb auch im Fokus der
Medizinhistoriker steht. Ein wahres Denkmal der »karolingi-
schen Renaissance« – der von Karl dem Großen geförder-
ten neuen Gelehrsamkeit – ist ebenso das nach seinem
mutmaßlichen Entstehungsort benannte »Lorscher Arznei-
buch« (siehe »Schatzkammer der Klostermedizin«, rechts).
Es wurde in den 1980er Jahren am Würzburger Institut für
Medizingeschichte von Ulrich Stoll ediert, übersetzt und
kommentiert. Das Herzstück bilden mehr als 50 Pergament-
blätter mit knapp 500 Rezepturen, die zum großen Teil aus
antiken Quellen übernommen wurden. Ohne solche Vorläu-
fer scheint hingegen eine Wundsalbe aus Schafdung, Honig
und Käse zu sein, aufzutragen bei »Unterschenkelgeschwü-
ren an den Schienbeinen«, und zwar »selbst wenn schon
die Knochen herausschauen«. Tatsächlich könnte diese
Salbe antibakteriell gewirkt haben. Der Hinweis »es heilt
innert 20 Tagen« entspricht ungefähr der Behandlungsdau-
er der ersten modernen Antibiotika.
Mittelalterliche Salbe
gegen moderne Keime
Das »Lorscher Arzneibuch« ist nicht das einzige erhaltene
Werk, das solche überraschenden Rezepturen bietet. Ein
weiteres verdankt sich wohl dem englischen König Alfred
dem Großen (848/49–899), der ebenfalls die Gelehrsamkeit
förderte. In der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts entstand
dann das »Bald’s Leechbook«. Darin findet sich ein Rezept
für eine Augensalbe auf Basis von Lauch oder Zwiebeln –
beide könnten mit dem aufgeführten altenglischen »crop-
leac« gemeint sein – und Knoblauch, vermischt mit Wein
und Ochsengalle. Das Gemenge sollte neun Tage in einem
Messinggefäß reifen, bevor man es mit einem Tuch aus-
wrang. 2015 haben Forscher der University of Nottingham
die Salbe hergestellt und an Zellkulturen von Staphylo-
coccus aureus antibakterielle Wirkungen nachgewiesen. In
Tierexperimenten an der Texas Tech University in Lubbock
wirkte die Salbe auch bei Varianten des Bakteriums, die
insbesondere gegen das Antibiotikum Methicillin Resistenz
Weil er für ein Krebsmittel der von ihm erfundenen
Hildegard-Medizin »Rohstoffe vom Geier«
brauchte, erwirkte Gottfried Hertzka eine Abschuss-
erlaubnis.
MIT FRDL. GEN. VON YVETTE E. SALOMON