beschreiben, der rechtwinklig in den Stein eindringt, mehr-
fach an seinen Kanten innen reflektiert wird und am Ende
wieder rechtwinklig austritt. Und in das Muster der Am-
mann-Linien passt ein regelmäßiges Zehneck mit seinen
Winkeln: perfekt in der dicken Raute, weniger überzeugend
in der dünnen. Legt man aber die Steine so zu einer Pflas-
terung zusammen, wie die Dekoration es vorschreibt, dann
setzen sich die Ammann-Linien über alle Steine hinweg
geradlinig fort – bis ins Unendliche, wenn die Pflasterung
korrekt gebaut ist.
Eine der beiden genannten Möglichkeiten, eine Penrose-
Pflasterung zu erzeugen, ist das Verfahren des Fliesenle-
gers: Man legt einen Stein irgendwohin und fügt weitere
Steine an, entsprechend den Anlegeregeln (»matching
rules«), die durch die Form der Steine oder ihre Musterung
vorgegeben sind.
Zweidimensionale Quasikristalle
Für die Physiker ist das eine geradezu natürliche Vorgehens-
weise. Penrose-Pflasterungen sind nämlich eine auf zwei
Dimensionen reduzierte Modellstruktur für etwas, das sie
wirklich interessiert: Quasikristalle, jene seltsamen Festkör-
per, die im Röntgenbeugungsbild eine fünfzählige Symmet-
rie zu erkennen geben und aus diesem Grund keine gewöhn-
lichen (periodischen) Kristalle sein können. Auch Quasikris-
talle haben einmal klein angefangen, das heißt, ein Atom
nach dem anderen hat sich an das wachsende Häuflein
angelagert. Also müssen die Anlegeregeln irgendwelchen
Kräften entsprechen, die auf das anlagerungswillige Atom
wirken und ihm helfen, seinen richtigen Platz zu finden.
Nur haben alle Anlegeregeln eine heimtückische Eigen-
schaft: Der Fliesenleger kann sich nie sicher sein, dass er
nicht irgendwann in eine Sackgasse gerät – eine Anordnung,
an die zumindest an einer Stelle kein Stein mehr passt.
Das wirkt zunächst seltsam. Immerhin bringt jeder Stein
seine Ammann-Linien mit sich; die kann man bis ins Un-
endliche verlängern. Immer wieder treffen sich irgendwo
weit draußen mehrere Ammann-Linien von verschiedenen
Steinen, und zwar so, dass an dieser Stelle nur ein Stein
und der nur in einer bestimmten Orientierung liegen kann.
Dieser Stein trägt gemeinhin noch weitere Linien abgese-
hen von jenen, die seine Position erzwingen. Dadurch füllt
sich die Ebene allmählich mit Ammann-Linien, die weitere
Positionen festlegen, und so fort.
Es gibt also jede Menge Ordnung; aber alle Vorschriften
zusammen – es gibt noch etliche mehr – geben dem Flie-
senleger keine eindeutige Anweisung an die Hand. Es gibt
im Allgemeinen mehrere zulässige Möglichkeiten, eine
angefangene Pflasterung fortzusetzen, und darüber hinaus
noch allerlei unzulässige. In der Realität würde der Quasi-
kristall nicht groß werden, bis er rein durch Zufall in die
erste Sackgasse gerät. Wie könnte er wieder daraus her-
ausfinden? Oder gibt es bessere Anlegeregeln, die ihn von
vornherein auf den richtigen Weg zwingen? Bislang sind
diese Fragen nicht endgültig geklärt.
Das zweite mathematische Mittel ist noch ferner der
physikalischen Realität, aber überaus hilfreich. Die Grund-
idee ist: Man zerlege jeden Pflasterstein aus dem Sortiment
in kleinere Teile. Diese ergeben ein neues Sortiment, wel-
ches im Idealfall aus verkleinerten Exemplaren des ur-
a
b
c
d
Die Dekoration der
dicken und der
dünnen Raute mit
Ammann- Linien (a)
und mit zu den
Linien passendem
Zehneck (b). In einer
vorschrifts mäßigen
Pflasterung (c) ver-
laufen die Ammann-
Linien gerad linig
über Steingrenzen
hinweg – theoretisch
bis ins Unendliche.
a
b
c
d
Die elementaren Bausteine jeder
Penrose-Pflasterung sind gleich-
schenklige Dreiecke mit dem Seiten-
verhältnis IJ≈ 1,618 des goldenen
Schnitts (»goldene Dreiecke« oder
auch »Robinson-Dreiecke«, a). Das
hohe Dreieck hat den Scheitelwinkel
36 Grad, das breite 108 Grad. Zwei
gleiche goldene Dreiecke, mit ihren
Basisseiten aneinandergesetzt,
ergeben die dünne und die dicke
Raute der Penrose-Pflasterung in der
einen Variante (b). Setzt man diesel-
ben Dreiecke mit jeweils anderen
Seiten zusammen, so ergeben sich
Drachen und Pfeil der anderen
Variante (c). Damit diese beiden Teile
zusammenpassen, müssen die
breiten Dreiecke mit dem Faktor IJ
verkleinert (oder die hohen entspre-
chend vergrößert) werden. Ein hohes
Dreieck ist in ein kleines breites und
ein kleines hohes zerlegbar, ein
breites in ein hohes und ein kleines
breites (d).
CHRISTOPH PÖPPE CHRISTOPH PÖPPE
a
b
c