Spektrum der Wissenschaft - 08.2019

(Ron) #1
daher weniger funktionsfähige CCR5­
Rezeptoren als im Fall zweier intakter
Genkopien, was das Fortschreiten der
Infektion zumindest verlangsamt.
Verschiedene Forschergruppen
arbeiten daran, das Gen CCR5 gezielt
zu verändern, um sein Proteinprodukt,
den gleichnamigen Rezeptor, als Ein­
gangspforte für die Viren zu verschlie­
ßen. Zuletzt hatte der chinesische
Forscher He Jiankui diese Erbanlage
im Genom menschlicher Embryonen
bei einem skandalträchtigen Men­
schenversuch mit Hilfe des CRISPR­
Cas­Verfahrens modifiziert. Auch bei
ethisch und wissenschaftlich weniger
problematischen Experimenten be­
steht die größte Herausforderung
darin, CCR5 so umzugestalten, dass es
zwar HIV­Infektionen unterbindet, aber
trotzdem seine bisher noch nicht völlig
verstandene natürliche Funktion
weiter erfüllen kann. Vermutlich spielt
das Rezeptorprotein in Nervenzellen
eine wichtige Rolle bei Gedächtnis­
und Lernprozessen. 
Jan Osterkamp ist Redakteur bei
»Spektrum.de«, Frank Schubert bei
»Spektrum der Wissenschaft«.

QUELLEN
Gupta, R. K. et al.: HIV­1 remission
following CCR5Δ32/Δ32 haematopoietic
stem­cell transplantation. Nature 568,
2019
Hütter, G. et al.: Long­term control of
HIV by CCR5 Delta32/Delta32 stem­cell
transplantation. New England Journal of
Medicine 360, 2009

deshalb von Mutationen in dessen Gen
nicht gestoppt wird. Bei anderen Er­
krankten, die Stammzellen mit intak­
ten CCR5­Rezeptorproteinen übertra­
gen bekamen, kehrte die Infektion
ebenfalls zurück, heißt es in »Nature«.
Eine intensive Bestrahlung mit
darauf folgender Stammzelltherapie
könne man ohnehin nicht allen HIV­Pa­
tienten zumuten, betont Hütter, son­
dern nur solchen mit einer zusätzli­
chen Krebserkrankung. Die derzeit
übliche Behandlung von HIV­Infizierten
mit antiviralen Medikamenten bewirke
zwar keine Heilung, verbessere aber
die Prognose deutlich.
Jene Fälle, in denen sich eine
HIV­Infektion mit Hilfe veränderter
CCR5­Gene erfolgreich zurückdrängen
ließ, rücken diesen Erbfaktor verstärkt
in den Fokus von Forschern, die An­
satzpunkte für neue Therapiemetho­
den suchen. Mutationen in dieser
Erbanlage kommen bei einigen Men­
schen natürlich vor, die dadurch
weitgehend resistent gegen entspre­
chenden Virenbefall sind. Bei ihnen
sorgt ein fehlendes DNA­Stück in
beiden Kopien des Gens dafür, dass
auf den weißen Blutzellen nur eine
verstümmelte und funktionslose
Variante des Rezeptorproteins CCR5
sitzt. Viren des am häufigsten auftre­
tenden Typs HIV­1 können solche
Zellen nicht infizieren. Bei rund zehn
Prozent aller Europäer – übrigens auch
beim Londoner Patienten – ist immer­
hin eine der beiden Kopien von CCR5
derart verändert; ihre Zellen tragen

umstritten, ob er einen speziellen
Einzelfall darstellt. Manche bezweifel­
ten daher, dass sich seine erfolgreiche
Behandlung auf andere Betroffene
übertragen lasse. Der Londoner Fall
scheine jedoch dafür zu sprechen,
sagt Gero Hütter von der Cellex
GmbH, der den Berlin­Patienten da­
mals an der Charité als behandelnder
Arzt begleitet hat.

Stammzelltransplantationen sind
nicht immer erfolgreich
Anfang März dieses Jahres berichtete
das Universitätsklinikum Düsseldorf
von einem weiteren Patienten mit
ähnlicher Konstellation. Der Düsseldor­
fer HIV­Patient erhielt auf Grund einer
Leukämie­Erkrankung eine Stammzell­
transplantation und wird seit Ende
2018 nicht mehr mit antiviralen Medi­
kamenten behandelt. Seither seien
keine HI­Viren mehr bei ihm nachweis­
bar, so das Universitätsklinikum. Da
die Arzneistoffe aber erst seit Kurzem
abgesetzt seien, ließe sich noch nichts
Abschließendes über eine mögliche
Heilung aussagen.
Mehrere Fälle belegen indes, dass
Stammzelltransplantationen eine
HIV­Infektion nicht immer zurückdrän­
gen. Die Fachzeitschrift »Nature«
verweist auf einen HIV­Patienten aus
Essen, der nach einer solchen Zellver­
pflanzung einen Rückfall der Erkran­
kung erlitt. Bei ihm hatte sich ein mu­
tierter Erregerstamm entwickelt, der
weiße Blutzellen auch ohne das Rezep­
torprotein CCR5 befallen kann und

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