Spektrum der Wissenschaft - 08.2019

(Ron) #1

K


ohle, Öl und Gas haben gut zwei Jahrhunderte
lang die Industrialisierung der ganzen Welt
angetrieben, und noch heute stillen sie den
Löwenanteil des globalen Energiebedarfs. Aller­
dings stößt die Nutzung der fossilen Quellen an Gren­
zen: Die natürlichen Reserven sind nicht unerschöpf­
lich, ihre Förderung wird immer aufwändiger, und die
konventionelle Energiegewinnung reichert die Atmo­
sphäre mit Kohlendioxid an.
Die klimaneutralen Alternativen Wasser, Wind und
Sonne sind zwar an sich unerschöpflich, haben es aber
gegen die alteingesessenen Energieträger schwer.
Nicht überall und nicht immer strömt Wasser, weht
Wind, scheint die Sonne; und mit der über Jahrmillio­
nen hinweg in Kohle und Öl leicht zugänglich gespei­
cherten Energie können die Erneuerbaren oft nur
schlecht mithalten.
Ist die Energiewende also rechnerisch ein Verlust­
geschäft, auf das sich die Wirtschaft bloß unter mora­
lisch­politischem Druck einlässt? Dafür scheinen so
genannte Nettoenergie­Analysen zu sprechen. Sie
ermitteln die energetische Rendite (energy return on
investment, EROI). Die Zahl steht für das Verhältnis der
in einer geförderten Brennstoffmenge vorhandenen
Energie zu dem für ihre Erschließung nötigen Aufwand.
Beispielsweise bedeutet ein EROI von 10, dass man
zehnmal so viel Energie gewinnt, wie man investiert.
Das entspricht dem Wert einer kostspielig hergestellten
Hightech­Fotovoltaikanlage – auf den ersten Blick keine
gute Bilanz gegenüber der rund zehnfach höheren
Rendite einer sprudelnden Erdölquelle.
Doch gegen diese Rechnung legt der Nachhaltig­
keitsforscher Marco Raugei von der Oxford Brookes

University gut begründeten Protest ein. Sobald man die
energetischen Kosten für Raffinierung und Transport
des Öls bis zum Endverbraucher mit einrechnet – sie
verstecken sich wohl teilweise in den massiven Steuer­
anteilen des Benzinpreises –, fällt der Vergleich ganz
anders aus: Die Rendite des Öls schrumpft von 100 auf
unter 10 und liegt damit durchaus im Bereich der
Fotovoltaik, die ja gleich direkt nutzbaren Strom liefert
(Nature Energy 4, S. 86–88, 2019).
Der Physiker und Wissenschaftsautor Mark Bu cha­
nan listet die energetische Rendite weiterer Energie­
formen auf, jeweils gemittelt über mehrere Jahrzehnte
(Nature Physics 15, S. 520, 2019). Der Strom aus Wind­
energie kommt demnach immerhin auf 18, hingegen
bringen Biokraftstoffe kaum 5. Ein spezieller, da poli­
tisch heiß umstrittener Fall ist die Kernenergie; hier
streuen die Werte für die Energierendite je nach Zähl­
methode zwischen 1 und 90. In einer Metastudie über
all diese Schätzungen kam Physiker Manfred Lenzen
von der University of Sydney in Australien schon 2008
auf eine nuklearenergetische Rendite von rund 5,
indem er den gesamten Brennstoffzyklus berücksich­
tigte, inklusive der sicheren Lagerung der radioaktiven
Abfälle (Energy Conversion and Management 49,
S. 2178–2199, 2008).

B


uchanan vermutet, die Energiegewinnung dürfte
künftig nicht einfacher werden, und rechnet
damit, dass sich die energetischen Renditen bei 5
oder gar 3 einpendeln. Das bedeutet: Bald wür­
den ein Fünftel oder sogar ein Drittel der produzierten
Energie von der Energiewirtschaft selbst verbraucht,
anstatt der Gesamtwirtschaft zugutezukommen. Ent­
sprechend könnte sich die Energie insgesamt verknap­
pen und verteuern. Deshalb gehört die Zukunft denjeni­
gen Technologien, die einen besonders sparsamen
Verbrauch von flexibel nutzbaren Energieformen wie
Strom versprechen.

SPRINGERS EINWÜRFE


BILANZ DER


ENERGIEGEWINNUNG


Um natürliche Energiequellen zu erschließen, müssen
wir viel technischen Aufwand treiben. Das schlägt sich
in den laufenden Kosten nur teilweise nieder.

Michael Springer ist Schriftsteller und Wissenschaftspublizist. Eine
neue Sammlung seiner Einwürfe ist 2019 als Buch unter dem Titel
»Lauter Überraschungen. Was die Wissenschaft weitertreibt« erschienen.
 spektrum.de/artikel/1654752

Ist die Energiewende


ein Verlustgeschäft?

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