Spektrum der Wissenschaft - 08.2019

(Ron) #1

ben, fanden wir auch Fossilien von verschiedenen Fischen,
pudelgroßen Reptilien sowie von Archosauriern, aus denen
sich die Krokodile entwickeln sollten. Aber bis heute ent-
deckten wir nicht das kleinste Stückchen eines Dinosaurier-
knochens.
Vermutlich wird das nie geschehen. Fossilfund stätten
aus der gleichen Zeit von vor 220 bis 230 Millionen Jahren
in Spanien, Marokko sowie an der nordamerikanischen Ost-
küste zeigen das gleiche Bild, das wir aus Portugal kennen:
eine Fülle von Amphibien und Reptilien, aber keinen einzi-
gen Dinosaurier. All diese Orte lagen in der Trockenregion
von Pangäa. Offensichtlich hatten sich die Dinosaurier in
den entscheidenden Jahren ihrer Evolution in feucht-gemä-
ßigten Regionen langsam auseinanderent wickelt, blieben
aber unfähig, die Wüsten zu besiedeln. Das stellt eine
unerwartete Erkenntnis dar: Die Dinosaurier erwiesen sich
keineswegs als die überlegenen Lebewesen, die sich un-
mittelbar nach ihrer Entstehung in einer Welle über ganz
Pangäa verbreiteten. Vielmehr kamen sie mit der Hitze nicht
zurecht. Geografisch eingeschränkt, agierten sie als bloße


Familienfehde


Die vielleicht hitzigste Debatte der
modernen Dinosaurierforschung
dreht sich um die Frage, wie Thero-
poda, Sauropodomorpha und Ornithi-
schia im Stammbaum angeordnet
sind. Der britische Anatom Harry
Govier Seeley (1839–1909) unterteilte
1887 die Flut der in Europa und dem
amerikanischen Westen gefundenen
Fossilien auf Grund der Form ihrer
Hüftknochen in zwei Ordnungen: Bei
den Theropoda und Sauropodomor-
pha weist das Schambein wie bei
den heutigen Echsen nach vorn;
Seeley gruppierte sie daher zur
Ordnung Saurischia oder Echsenbe-
ckensaurier. Hiervon trennte er die
Ornithischia oder Vogelbeckensaurier
ab, deren Schambein wie bei den
heutigen Vögeln nach hinten gerich-
tet ist. Diese grundlegende Zweitei-
lung gilt bis heute als Standardeintei-
lung der Dinosaurier, die ich wie alle
meine Dinosaurier sammelnden
Kollegen als Student gelernt habe
(obere Grafik).
Sie könnte aber falsch sein. 2017
schlug eine in der Fachzeitschrift
»Nature« erschienene Studie wie eine
Bombe ein: Darin präsentierte der
Doktorand Matthew Baron von der
University of Cambridge mit seinen

Kollegen nach der Auswertung eines
umfangreichen Datenbestands über
die anatomischen Merkmale früher
Dinosaurier einen neuen Stamm-
baum. Er fasst die Theropoden und
Ornithischia zu einer Gruppe namens
Ornithoscelida zusammen, von
denen sich die Sauropodomorpha
auf einem eigenen Ast abgrenzen.
Demnach lautet die Zweiteilung der
Dinosaurier also nicht mehr Sau-
rischia versus Ornithischia, sondern
Ornithoscelida versus Sauropodo-
morpha (untere Grafik).
Oder auch nicht. Kurz nach der
Veröffentlichung von Barons Studie
kontaktierte mich Max Langer, ein
brasilianischer Paläontologe, der in
den letzten zehn Jahren eine ganze
Reihe Dinosaurier und ihre Vorläufer
aus seinem Heimatland beschrieben
hatte. Er stand dem neuen Stamm-
baum skeptisch gegenüber und
stellte eine Gruppe von Experten für
frühe Dinosaurier zusammen, zu der
ich ebenfalls gehören sollte, um über
Barons Daten zu brüten. Einen Monat
lang gingen wir sorgfältig die Daten
durch und hielten an verschiedenen
Stellen fest, wo wir die Interpretation
der anderen Arbeitsgruppe bezwei-
felten. Dann analysierten wir die

Merkmale mit unseren Korrekturen
erneut. Dabei kristallisierte sich
wieder ein Stammbaum heraus, in
dem Saurischia und Ornithischia
einander gegenüberstanden; statisti-
sche Prüfungen zeigten allerdings,
dass diese Anordnung nicht signifi-
kant besser zu den Daten passte als
Barons Stammbaum mit Ornithosce-
lida und Sauropodomorpha.
Wegen dieser zweideutigen
Forschungsergebnissen fehlt den
Paläontologen bislang ein grundle-
gendes Verständnis für die Aufspal-
tung der frühen Dinosaurier. Die Fülle
neuer Entdeckungen aus Argentini-
en, Brasilien, Polen und anderen
Ländern im Lauf der letzten 15 Jahre
haben das Bild eher noch ver-
schwommener gemacht. Wie wir
heute wissen, ähnelten sich die
ersten Mitglieder der drei großen
Dinosaurierlinien in Körpergröße und
Anatomie frappierend, was die
Aufklärung ihrer Verwandtschafts-
beziehungen erschwert. Dieses
Rätsel werden wohl erst künftige
Paläontologen lösen, und zwar
vermutlich auf dem gleichen Weg,
auf dem solche Meinungsverschie-
denheiten in der Regel beigelegt
werden: mit neuen Fossilien.

Nebendarsteller in einem weltweiten Drama, dessen Schau-
platz sich noch immer von dem großen Artensterben am
Ende des Perm erholen musste.
Aber dann, gerade als es so aussah, als könnten die
Dinosaurier nie ihre eingefahrenen Gleise verlassen, traten
zwei für sie glückliche Wendungen ein. Erstens gingen die
beherrschenden großen Pflanzenfresser jener Zeit – Reptilien
namens Rhynchosaurier und die mit den Säugetieren ver-
wandten Dicynodonten – in der feucht-warmen Zone zurück;
in manchen Regionen verschwanden sie aus unbekannten
Gründen sogar ganz. Dieser Sturz in die Bedeutungslosigkeit
vor rund 220 Millionen Jahren bot primitiven, Pflanzen
fressenden Sauropodomorpha wie Saturnalia – eine hunde-
große Gattung mit etwas verlängertem Hals – die Gelegen-
heit, eine wichtige ökologische Nische zu besetzen. Es
dauerte nicht lange, bis diese Sauropodenvorläufer zu den
vorherrschenden Pflanzenfressern in den feuchten Regionen
der Nord- und Südhalbkugel avancierten.
Zweitens drangen die Dinosaurier vor etwa 215 Millionen
Jahren endlich in die Wüsten der Nordhalbkugel vor. Mög-
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