Spektrum der Wissenschaft - 08.2019

(Ron) #1
Amanda Keener ist Reporterin bei
»National Geographic«. Zuvor
arbeitete sie als Redakteurin für
»Scientific American«.

 spektrum.de/artikel/1654758


Weltweit treten Infektionskrankheiten zunehmend
häufig auf: Zwischen 1980 und 2010 hat sich die Zahl
der dokumentierten Ausbrüche alle fünf Jahre mehr als
verdreifacht. Nach unerwartet heftigen Epidemien des
Ebola- und Zikafiebers suchen Wissenschaftler nun ver-
stärkt nach schnelleren und billigeren Methoden, um gegen
Krankheitserreger vorzugehen, über die noch recht wenig
bekannt ist. Dazu gehören künstlich hergestellte Antikör-
per – Proteine, die sich im Körper einer infizierten Person
direkt an Viren oder Bakterien binden und das Immunsys-
tem dazu bringen, diese Erreger auszuschalten. Sie können
zudem Personen, die bestimmten Krankheitserregern
unvermeidlich ausgesetzt sind (etwa medizinisches Perso-
nal), vor einer Ansteckung schützen.
Antikörper künstlich zu produzieren, ist jedoch teuer.
Außerdem müssen die Moleküle anschließend kühl gela-
gert sowie den Patienten oft mehrmals verabreicht werden,
um hinreichend stark zu wirken. Hinzu kommt der Zeit-
aufwand: Die Zellen heranzuzüchten, die das gewünschte
Protein produzieren, die Moleküle dann zu reinigen und vor
dem Einsatz zu testen, all das nimmt oft ein bis zwei Jahre
in Anspruch. »Eine beginnende Epidemie lässt sich nur
während eines kurzen Zeitfensters stoppen – daher wirft es
Probleme auf, dass die Herstellung von Antikörpern so
lange dauert«, sagt Neal Padte, Geschäftsführer des Bio-
technologieunternehmens RenBio in New York City.

Ein Konzept ähnlich der DNA-Impfung
Padte gehört einer wachsenden Gruppe von Forschern an,
die solche aufwändigen und teuren Produktionsschritte
umgehen möchten, indem sie dem Organismus die geneti-
sche Information bereitstellen, um die Antikörper selbst
zu erzeugen. Das lässt sich erreichen, indem man DNA-
Sequenzen, die für den jeweiligen Antikörper codieren, in
Körperzellen einbringt – eine Technik namens Antikörper-
Gentransfer. Sie ähnelt vom Konzept her der DNA-Impfung,
die den genetischen Bauplan für Impfstoffproteine in die
Zellen einschleust. Die beiden Methoden unterscheiden
sich allerdings in einem wichtigen Punkt: DNA-Impfstoffe
veranlassen den Organismus dazu, körperfremde Proteine
herzustellen, die dann ihrerseits eine Immunreaktion ein-
schließlich Antikörperproduktion auslösen. Der Antikörper-
Gentransfer hingegen bewirkt auf direktem Weg, dass die
Körperzellen solche Abwehrmoleküle synthetisieren – ohne
vorherige Immunreaktion.
Gestützt auf die Erfahrungen mit DNA-Impfstoffen und
Gentherapien bringen Wissenschaftler derzeit klinische
Studien auf den Weg, in denen sie medizinische Anwen-
dungen des Antikörper-Gentransfers testen möchten. Dabei
sollen Infektionskrankheiten nur der erste Schritt sein. Denn

auch für die Behandlung nichtinfektiöser Erkrankungen wie
Krebs erscheint das Konzept viel versprechend. »Wo immer
sich die Gabe von Antikörpern als wirksam erwiesen hat,
sollte auch ein Antikörper-Gentransfer etwas ausrichten«,
zeigt sich Padte überzeugt.
Selbstverständlich müssen die Mediziner für diese
Methode nachweisen, dass sie sicher, verträglich und
effizient ist – genau wie bei anderen Gentherapien. Darüber
hinaus gibt es jedoch noch weitere Hürden. So erfordert
das Verfahren, dass Körperzellen, die normalerweise keine
Antikörper bilden, diese nach dem Eingriff in genügend
großen Mengen produzieren. »Wir wissen, dass das im
Tierversuch bei Mäusen klappt – und zwar sehr verlässlich«,
sagt Kevin Hollevoet, Immunologe an der Katholischen Uni-
versität Löwen in Belgien. Die große Frage sei nun, ob der
Antikörper-Gentransfer auch beim Menschen funktioniere.
David Weiner, Direktor am Vaccine & Immunotherapy
Center des Wistar Institute in Philadelphia (Pennsylvania),
entwickelt und optimiert DNA-Impfungen seit fast 30
Jahren. Um das Jahr 2010 herum erkannte er, dass seine
Arbeiten aber ebenso ein ganz anderes Gebiet betreffen.
Seine Tochter, damals ein Teenager, erkrankte an dem
chronisch-entzündlichen Darmleiden Morbus Crohn, und
die einzige Therapie, die ihr half, war die Gabe eines
monoklonalen Antikörpers mehrmals pro Monat. Weiner
beschäftigte sich nun intensiv mit Antikörpertherapien, bei
denen die Ärzte beispielsweise entzündungshemmende
Substanzen wie Adalimumab oder Immuncheckpoint-
Inhibitoren wie Pembrolizumab (siehe Spektrum Oktober
2016, S. 32) verabreichen. »Antikörper gehören derzeit zu
den wichtigsten Themen in der Biotechnologie«, betont
der Wissenschaftler.
Medikamente auf ihrer Basis sind allerdings extrem
teuer. Jährliche Behandlungskosten von bis zu 100 000
Dollar machen sie für den größten Teil der Weltbevölkerung
unerschwinglich. Weiner glaubt, dass der Antikörper-
Gentransfer wesentlich mehr Menschen den Zugang dazu
ermöglichen könnte. Denn DNA herzustellen, kostet er-
heblich weniger, als Antikörper zu produzieren. Bei DNA-

AUF EINEN BLICK
DER MENSCH
ALS ANTIKÖRPERFABRIK

1


Viele Krankheiten lassen sich wirksam behandeln,
indem man den Patienten Antikörper verabreicht.
Deren Herstellung ist allerdings teuer.

2


Statt die Antikörper als fertige Moleküle anzuwenden,
ist es auch möglich, ihre genetische Bauanleitung in
Körperzellen einschleusen. Der Organismus stellt sie
dann selbst her.

3


Dieser »Antikörper-Gentransfer« könnte billiger und
flexibler sein als herkömmliche Antikörperbehandlun-
gen. Erste klinische Studien dazu sind auf dem Weg.
Free download pdf