Am US National Institute of Allergy and Infectious Disea-
ses in Bethesda (Maryland) laufen bereits entsprechende
Tests. Forscher verabreichen hier ein Gen, das für einen
HIV-Antikörper codiert, den Balazs und seine Kollegen
schon seit mehr als einem Jahrzehnt untersuchen. Die
Studie geht der Frage nach, wie sicher dieses Therapiever-
fahren bei HIV-infizierten Personen ist und ob deren Orga-
nismus die genetische Information tatsächlich nutzt, um die
gewünschten Antikörper zu synthetisieren. Eine separate
Studie der International AIDS Vaccine Initiative in New York
City prüft an gesunden männlichen Teilnehmern die Sicher-
heit eines weiteren Gentransfers, bei dem der Bauplan für
einen HIV-neutralisierenden Antikörper übertragen wird.
Die Ergebnisse beider Studien sollten zeigen, wie gut dieser
Behandlungsansatz beim Menschen funktioniert.
Es gibt viele Möglichkeiten, um Erbmaterial in Zellen
einzuschleusen. Forscher haben bislang nur wenige davon
beim Menschen angewendet. In den Studien, die den
Transfer von HIV-Antikörper-Genen testen, dient ein Adeno-
assoziiertes Virus (AAV) als Genfähre. In das Muskelgewe-
be der Patienten gespritzt, soll es das gewünschte Erbmate-
rial in den Körperzellen abladen. AAV sind ein beliebtes
Werkzeug der Gentherapie (siehe Spektrum Juli 2019, S. 20).
Zu den Wissenschaftlern, die damit arbeiten, gehört Ronald
Crystal, der sich an der Forschungseinrichtung Weill Cornell
Medicine in New York City mit Gentherapien befasst. Sein
Team und er nutzen AAV, um in das Gehirn demenzkranker
Mäuse den Bauplan für einen Antikörper einzubringen, der
sich gegen das Tau-Protein richtet. Dieses spielt bei der
Alzheimerkrankheit eine wichtige Rolle.
Doch virale Fähren wie AAV für den Antikörper-Gen-
transfer einzusetzen, hat auch Nachteile. Die infektiösen
Partikel lösen nämlich eine Immunreaktion aus, die den
Erfolg der Therapie vereiteln kann. Und weil Viren in Zellkul-
turen vermehrt werden müssen, ist ihre Produktion oft
zeitaufwändig und teuer. Transfermethoden, die ohne Viren
auskommen, könnten diese Probleme umgehen. Ein sol-
ches Verfahren ist die Elektroporation, auch Elektropermea-
tion genannt, bei der mit Hilfe elektrischer Felder eine
große Potenzialdifferenz über der Zellmembran erzeugt
wird, die einen vorübergehenden Zusammenbruch der
Membranstruktur bewirkt. Durch die kurzzeitig entstehen-
den Löcher kann das Erbmaterial ins Zellinnere gelangen.
Das im britischen Oxford ansässige Unternehmen
Scancell entwickelt Krebsimmuntherapien und hat die
Elektroporation angewendet, um ein Gen in menschliche
T-Lymphozyten einzuschleusen, das die Bauanleitung für
einen künstlich designten Antikörper enthält. Dieser bringt
die Lymphozyten dazu, Melanome (bösartige Tumoren der
Pigmentzellen, als schwarzer Hautkrebs bezeichnet) anzu-
greifen. Im Jahr 2017 berichtete das Unternehmen, das
Verfahren habe sich in Tests als sicher erwiesen und entfa-
che eine Immunreaktion gegen den Krebs.
Andere Arbeitsgruppen schleusen nicht DNA, sondern
Boten-RNA in die Zielzellen ein. Dabei handelt es sich um
die Abschrift der genetischen Information, die in der DNA
gespeichert ist. Boten-RNA (»mRNA«), übermittelt diese
Information an Proteinfabriken außerhalb des Zellkerns, die
dann entsprechende Eiweiße herstellen. Aus bisher unbe-
basierten Behandlungen sind zudem weniger Gaben des
Arzneistoffs erforderlich, weil die Nukleinsäure im Optimal-
fall wochen- bis monatelang im Zellkern überdauert und die
Zelle die ganze Zeit über Antikörper produziert.
Seit dem Jahr 2013 entwickelt das von Weiner mitge-
gründete Unternehmen Inovio Pharmaceuticals in Plymouth
Meeting (Pennsylvania) gemeinsam mit seinem Team am
Wistar Institute verschiedene therapeutische Gene, die für
Antikörper codieren. Den Anfang dabei machten Proteine,
die sich gegen die viralen Erreger des Chikungunya- und
des Denguefiebers richteten. Mittlerweile haben die For-
scher ihr Spektrum erweitert und arbeiten nun auch an
Antikörper-Gentransfer-Methoden gegen bakterielle Erreger
von Lungenentzündungen, die antibiotikaresistent sind,
sowie gegen zwei Proteine, die in Prostatatumoren ver-
mehrt vorkommen. Aktuell versuchen sie das Verfahren so
zu modifizieren, dass sich damit Ebolavirus-Infektionen
bekämpfen lassen – wobei sie sich auf Antikörper stützen,
die aus dem Blut von Überlebenden stammen.
Inovio Pharmaceuticals ist nicht das einzige Unterneh-
men, das solche Therapien entwickelt. Mehreren Forscher-
gruppen ist es per Antikörper-Gentransfer gelungen, Mäuse
vor Infektionen zu schützen und das Immunsystem der
Tiere dazu anzuregen, Tumoren zu attackieren. Ein inter-
nationales Team, zu dem Padte gehörte, hat in Körperzellen
von Mäusen Gene eingeschleust, die für Antikörper gegen
Ebolaviren beziehungsweise gegen Grippeviren codierten.
Die so behandelten Nager waren immun gegen Ebola und
Grippe.
Schutz vor Aids – mit Antikörpern,
die mehrere HIV-Stämme neutralisieren
Der neue Therapieansatz ist auch im Hinblick auf HIV-Infek-
tionen von großem Interesse. Eine Untergruppe der Infizier-
ten (etwa jeder dritte) produziert Antikörper, die mehrere
HIV-Stämme neutralisieren. Das könnte auf genetische
Unterschiede zwischen den Patienten zurückzuführen sein,
hängt aber möglicherweise ebenso von dem Erregerstamm
ab, der den Organismus jeweils befällt. »Mit Hilfe des
Antikörper-Gentransfers können wir die genetischen Bau-
anleitungen nachweislich wirksamer Antikörper sehr vielen
Patienten zur Verfügung stellen – auch jenen, deren Orga-
nismus diese Moleküle nicht selbst herstellt«, sagt Alejan-
dro Balazs, der am Ragon Institute (Cambridge, Massachu-
setts) über HIV-Immunität forscht. »Mit einem solchen
Ansatz würden wir die individuelle Immunreaktion gegen
das Virus verstärken und weniger vom Zufall abhängig
machen.«
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