Spektrum der Wissenschaft - 08.2019

(Ron) #1
kannten Gründen nehmen Muskelzellen unter bestimmten
Bedingungen mRNA-Moleküle auf, ohne dass hierfür eine
Elektroporation erforderlich ist. Das macht das Verfahren
als Transfermethode interessant.
2017 brachten Forscher um Drew Weissman von der
University of Pennsylvania mRNA in Labormäuse ein, die
für einen HIV-neutralisierenden Antikörper codiert. Dies
schützte die Tiere vor einer HIV-Infektion. Das biopharma-
zeutische Unternehmen CureVac in Tübingen wiederum hat
über erfolgreiche Versuche mit Boten-RNAs berichtet, die
Baupläne für Antikörper gegen Grippe- und Tollwutviren
enthielten: Mäuse, die damit behandelt wurden, produzier-
ten die Moleküle und entwickelten einen Schutz vor Infek-
tionen. Eine weitere mRNA mit der Bauanleitung für den
monoklonalen Antikörper Rituximab, den Ärzte gegen
Krebserkrankungen des Lymphsystems einsetzen, bewahr-
te Mäuse davor, an einem solchen Tumorleiden zu sterben.
Und Wissenschaftler der Firma BioNTech in Mainz experi-
mentieren mit Boten-RNA für T-Lymphozyten aktivierende
Antikörper zur Immuntherapie von Krebserkrankungen.

Ausschalter für die Gentherapie
Während manche Mediziner nun in klinischen Studien
testen, ob ein bestimmter Antikörper-Gentransfer gegen
Infektionskrankheiten oder Krebsleiden hilft, überlegen
andere, ob die Technik sich auch gegen chronische Erkran-
kungen wie rheumatoide Arthritis einsetzen lässt. Das ist
freilich eine größere Herausforderung, da bei Patienten mit
entsprechenden Leiden oft verschiedene monoklonale
Antikörper getestet werden müssen, um einen hinreichend
wirksamen zu finden. Ein Gentransfer, durch den der Orga-
nismus monate- oder jahrelang die gleiche Molekülsorte
herstellt, wie dies beim Einsatz von AAV der Fall ist, würde
einen solchen Wechsel erschweren. »Es besteht dabei die
Gefahr, dass sich die Antikörperproduktion nicht abschalten
lässt«, sagt Crystal.
Alejandro Balazs und andere Forscher entwickeln daher
»Ausschalter« etwa in Form von entgegengerichteten
Gentherapien oder speziellen Arzneistoffen. Vorerst bleibt

unklar, ob die Therapieansätze, die bei Mäusen funk tioniert
haben, sich auf den Menschen übertragen lassen. »Die
Genfähren, die der Arzt in das Muskelgewebe injiziert,
wirken lediglich innerhalb eines begrenzten Volumens: Nur
dort bringen sie ihre Fracht in Körperzellen ein, die dann
den gesamten Organismus mit Antikörpern versorgen
müssen«, gibt Kevin Hollevoet zu bedenken. Er führt Unter-
suchungen an Schafen durch, um bei diesen größeren
Tieren besser vergleichbare Werte dafür zu bekommen,
welche Mengen an Antikörperproteinen der menschliche
Körper produzieren kann.
Von jenen Antikörpern, die bisher ausschließlich bei
Tieren getestet wurden, ist nicht bekannt, wie hoch ihre
Konzentration im menschlichen Blut sein muss, um eine
Erkrankung erfolgreich zu behandeln. »Deshalb sind diese
ersten klinischen Studien so wichtig«, betont Balazs. »Wir
lernen dabei, eine wirksame Antikörperproduktion in Gang
zu bringen.« Anschließend könnten sich die Forscher mit
den nächsten Schritten befassen, etwa mit der Entwicklung
passender Ausschalter. 

QUELLEN
Andrews, C. D. et al.: In vivo production of monoclonal antibo-
dies by gene transfer via electroporation protects against lethal
Influenza and Ebola infections. Molecular Therapy – Methods &
Clinical Developments 7, 2017
Liu, W. et al.: Vectored intracerebral immunization with the
Anti-Tau monoclonal antibody PHF1 markedly reduces Tau
pathology in mutant Tau transgenic mice. The Journal of Neu-
roscience 36, 2016
Pardi, N. et al.: Administration of nucleoside-modified mRNA
encoding broadly neutralizing antibody protects humanized
mice from HIV-1 challenge. Nature Communications 8, 2017

© Springer Nature Limited
http://www.nature.com
Nature 564, S. 16–17, 2018

UNSPLASH / BARRETT WARD (https://unsplash.com/photos/0lMpQaXfOCg)


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