Spektrum der Wissenschaft - 08.2019

(Ron) #1
auf, wenn sich die Bodenhöhe ändert. Allerdings beobachtet
man sie in der Regel an der Spitze eines einzelnen, bekann-
ten Vulkans. Hier jedoch erstreckte sich das Muster über
eine 400 Quadratkilometer große Region mit Bergen und
Ebenen. Etwas Seltsames ging vor sich. Pritchard begutach-
tete ältere Bilder und stellte fest, dass sich der Boden seit
einem Zeitpunkt zwischen 2004 und 2007 um 20 Zentimeter
pro Jahr anhebt. Das ist weltweit die größte Hebungsrate
überhaupt – etwa zehnmal so groß wie diejenige im Yel-
lowstone-Nationalpark, wo sich der Boden in den vergange-
nen Jahren mehrmals begonnen hat aufzuwölben, aber
immer wieder zum Stillstand gekommen ist.
Die Bodendeformation an der Laguna del Maule hat
angesichts der dortigen Eruptionsgeschichte in den letzten
Jahren eine Reihe von Expeditionen angelockt. Die Wissen-
schaftler wollten feststellen, ob in dem Gebiet tatsächlich
ein Ausbruch kurz bevorsteht und wie heftig dieser wohl
sein könnte. 2013 startete Brad Singer ein fünfjähriges For-
schungs projekt, um den früheren und den gegenwärtigen
Zustand des Systems zu untersuchen. In Zusammenarbeit
mit der chilenischen Geologie- und Bergbaubehörde brach-
ten der Forscher und seine Kollegen etwa 50 Messstationen
am Boden an, ver maßen vom Hubschrauber aus den See-
grund mit Laserscannern und nahmen Proben alter Gesteine,
die sie später im Labor analysierten.

Unter der Laguna del Maule lagern 450 Kubikkilometer
hochexplosives Magma
Unter dem Erdboden braut sich einiges zusammen, wie die
Datenlage zeigte. »Ich möchte keine Panik verbreiten, doch
es gibt Anzeichen für eine vermehrte Ansammlung von
Magma unter der Laguna del Maule«, berichtet Judith Fier-
stein, Geologin am California Vulcano Observatory des
Geologischen Dienstes der USA (USGS) in Menlo Park. Die
Wissenschaftlerin hat die unterirdischen Strukturen mit
seismischen Methoden analysiert, die elektrische Leitfähig-
keit untersucht sowie gravimetrische Messungen vorge-
nommen und somit bestimmt, welche Gesteinstypen unter
dem riesigen Gebiet lagern. Ihre Ergebnisse deuten darauf
hin, dass die Region auf einem 450 Kubikkilometer großen
Reservoir aus hoch explosivem rhyolithischem Magma sitzt.
Wenn dieses auf einen Schlag ausgeworfen wird, kann es
sich in 1000 Kubikkilometer Asche, Vulkangestein und Lava
verwandeln. Ab einer solchen Menge kann man von einem
Supervulkan sprechen, so Singer.
Auch wenn nicht das gesamte Magma auf einen Schlag
herausgeschleudert wird, stellt es eine Bedrohung dar. Ein
Zehntel dieses Volumens würde bereits zu einer Explosion
führen, die diejenige des indonesischen Vulkans Krakatau
um das Doppelte übertreffen würde. Als dieser 1883 aus-
brach, fielen ihm 36 000 Menschen zum Opfer. Dabei handelt
es sich bei ihm noch gar nicht um einen Supervulkan.
Während ein Teil der Wissenschaftler die Größe der
Laguna del Maule vermaß, interessierten sich andere mehr
für deren Temperatur. Aus klassischer Sicht handelt es sich
bei dem unter aktiven Vulkanen angesammelten Magma um
eine brodelnde Flüssigkeit, die irgendwann zur Erdoberfläche
aufsteigt, ähnlich wie ein Klumpen in einer Lavalampe. 2014
aber machten Adam Kent von der Oregon State University

Dieser neue Blick aus nächster Nähe, kombiniert mit
Befunden älterer Supervulkane, hat die Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftler schon zu einem überraschenden
Schluss geführt: So be herbergen die gewaltigen unterirdi-
schen Magmakammern, aus denen sich die Feuerriesen
speisen, nicht etwa eine glühende Gesteinsschmelze, wie
früher angenommen. Vielmehr ist die Masse dort ver-
gleichsweise weniger heiß, oft sogar fest. Diese Erkenntnis
stellt Vulkanologen vor ein Rätsel: Denn damit eine Eruption
stattfinden kann, muss festes Magma schmelzen und rasch
aufsteigen, binnen Jahrzehnten. Daher versuchen sie
herauszufinden, wie dieser rapide Temperatur anstieg
vonstattengeht, um so die heftigsten bislang erfolgten
Eruptionen auf der Erde zu erklären.
Welche Kräfte solche Ereignisse freigesetzt haben, ist
schwer vorstellbar. Ein gigantischer Vulkan brach beispiels-
weise vor 631 000 Jahren im heutigen Yellowstone-Natio-
nalpark in den Vereinigten Staaten aus. Er schleuderte
glühende Aschewolken, giftige Gase und Ströme flüssigen
Gesteins in die Luft, die sich über die Landschaft wälzten
und alles unter sich begruben. Die Eruptionen füllten ganze
Täler mit heißem, schwerem Material, das Gesteinsschich-
ten bildete, die heute noch bis zu 200 Meter dick sind.
Anschließend verdunkelte Asche den Himmel. Sie regnete
auf einen breiten Streifen Nordamerikas herab und hinter-
ließ Ablagerungen innerhalb eines Dreiecks, das von der
heutigen US-Grenze zu Kanada bis hinunter nach Kaliforni-
en und hinüber zum Golf von Mexiko reicht. Andere Super-
vulkane stießen bisweilen sogar so viel Asche aus, dass
nach Meinung der Wissenschaftler kaum noch Sonnenlicht
zur Erde durchdringen konnte und der Planet in einen
vulkanischen Winter versank.
Und heute? 2008 bemerkte der Geophysiker Matthew
Pritchard von der Cornell University in Ithaca im Bundes-
staat New York beim Durchsehen von Satellitendaten ein
ungewöhnliches Signal, das von den chilenischen Anden
ausging. Die Daten auf seinem Computerbildschirm zeigten
ein Ringmuster, das an ein psychedelisch gemustertes
Bullauge erinnert. Solche »Aureolen« treten typischerweise

AUF EINEN BLICK
SCHLAFENDE UNGEHEUER

1


Supervulkane können durch ihre Explosionen das Er-
scheinungsbild ganzer Kontinente verändern. Seit Be-
ginn der Menschheit gab es keinen solchen Ausbruch.

2


Überraschenderweise beginnen solche gigantischen
Ausbrüche nicht mit glutflüssigem Magma, sondern
mit nahezu festem Gestein. Wissenschaftler erkunden,
wie dieses in kurzer Zeit mobilisiert wird.

3


An der Laguna del Maule, einem Bergsee in den An-
den, braut sich ein riesiger Vulkankomplex zusammen.
Sein Magmareservoir ist bereits jetzt groß genug für
einen Supervulkan.
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