Spektrum der Wissenschaft - 08.2019

(Ron) #1
nur ein Teil des Vulkanreservoirs erhitzt, außerdem spielen
explodierende Dampfblasen eine Rolle.
Andersen fand durch die Analyse von Kristallen der
letzten Ausbrüche an der Laguna del Maule heraus, dass
aus großen Tiefen stammendes, basaltisches Magma nicht
in alle Stellen des Vulkansystems eindrang, sondern sich
vielmehr an der Basis des oberen, stark rhyolithhaltigen
Reservoirs ansammelte. Die beiden Gesteinstypen haben
sich also niemals vermischt. Der stecken gebliebene Basalt
kühlte ab, gab dabei Wärme an das darüberliegende Mate-
rial weiter und ließ Wasserdampfbläschen aufsteigen.
Durch die Wärme und die heißen Blasen schmolzen die um-
liegenden Kristalle. So entstanden schwimmende, mit
Blasen gefüllte Diapire, die weiter hinauf zur Spitze des
Reservoirs wanderten. Dort übten sie so viel Druck aus,
dass sie durch die darüberliegende Kruste brachen.
Diese Vorstellung beunruhigt Singer. Sollten derzeit
flüchtige Bläschen unter der Laguna del Maule aufsteigen,
gibt es für sie keinen Weg, zu entkommen. Denn in der
Nähe des Bergsees sind keine hydrothermalen Strukturen
wie etwa der Old-Faithful-Geysir im Yellowstone-National-
park, Fumarolen, heiße Quellen oder Kamine vorhanden.

»In meinen Augen macht das die Laguna del Maule potenzi-
ell gefährlicher als andere Vulkansysteme«, urteilt der
Geologe. Falls ein Teil des Gases zur Oberfläche gelangt,
könnte sich das Wachstum des Reservoirs verlangsamen.
»Sollte das Reservoir aber in der Tiefe festsitzen und dort
ausreifen, könnte sich das Vulkansystem stark aufblähen,
wie es im Yellowstone-Gebiet vor dem letzten großen
Ausbruch geschehen ist«, ergänzt er. »Dann käme es zu
einer Eruption, wie sie die Menschheit noch nicht gese-
hen hat.«
Obwohl das Reservoir unter der Laguna del Maule schon
fast supervulkanische Ausmaße hat, könnte es also in den
kommenden Jahrhunderten weiter anwachsen. Im Moment
sind Singers Befürchtungen noch durchaus spekulativ,
ebenso wie seine Annahmen über die Eruptionsmechanis-
men. So wäre es etwa denkbar, dass eine aufsteigende,
bläschenreiche Schmelze von sich aus nicht genügend
Druck aufbauen kann, um einen gewaltigen Ausbruch
auszulösen. Dazu könnte ein lokales Erdbeben erforderlich
sein. Singers Team versucht derzeit Hinweise auf solche
zusätzlichen Auslöser zu finden.
Selbst wenn es an der Laguna del Maule »nur« zu einer
Reihe kleinerer Eruptionen käme, wären die Auswirkungen
wohl in ganz Südamerika zu spüren. So könnte die Asche
den Flugverkehr zum Erliegen bringen und die landwirt-
schaftliche Produktion in Argentinien, wo sie vermutlich auf
Grund der vorherrschenden Westwinde niederregnen
würde, auf Jahre hinaus ruinieren. Außerdem wäre es
möglich, dass Glutwolken einen Dammbruch am nahe
gelegenen Río Maule herbeiführen, was eine katastrophale
Überschwemmung zur Folge hätte. Talca, eine Stadt mit
200 000 Einwohnern in der Ebene unterhalb des Sees, könn-
te dann in den Fluten versinken.
Inzwischen haben Wissenschaftler aus Chile und Argen-
tinien die Beobachtung des Sees übernommen. Derzeit
hebt sich der Untergrund in der Region kontinuierlich – eine
scheinbar relativ harmlose Bewegung. Doch sollten die
Forscher weitere Anzeichen von Unruhe an der Laguna del
Maule feststellen, könnten sie damit die nächste Eruption
des Vulkanfelds exakt vorhersagen – jetzt, da sie die zu
Grunde liegenden Mechanismen besser verstehen. 

QUELLEN
Andersen, N. L. et al.: Petrochronologic perspective on rhyolite
volcano unrest at Laguna del Maule, Chile. Earth and Planetary
Science Letters 493, 2018
Andersen, N. L. et al.: Incremental heating of Bishop Tuff
Sanidine reveals preeruptive radiogenic Ar and rapid remobiliza-
tion from cold storage. PNAS 114, 2017
Cooper, K. M., Kent, A. J. R.: Rapid remobilization of magmatic
crystals kept in cold storage. Nature 506, 2014
Rubin, A. E. et al.: Rapid cooling and cold storage in a silicic
magma reservoir recorded in individual crystals. Science 356,
2017
LITERATURTIPP
Bindeman, I. N.: Die Urgewalt der Supervulkane. Spektrum der
Wissenschaft 8/2006, S. 38–45
Mehr darüber, was Kristalle über Supervulkane verraten und wie
sich ein Ausbruch weltweit auswirkt

Geologen installieren in der Umgebung des Sees Mess­
geräte, um zu ermitteln, wie stark sich der Boden hebt.

Die Satellitenperspektive auf die vulkanischen Struk­
turen rund um die Laguna del Maule zeigt Vegetation
(rot) und schneebedeckte Gipfel (weiß).

NASA/GSFC/METI/ERSDAC/JAROS AND THE U.S./JAPAN ASTER SCIENCE TEAM
(EARTHOBSERVATORY.NASA.GOV/IMAGES/76827/LAGUNA-DEL-MAULE)


BRAD S. SINGER, UNIVERSITY OF WISCONSIN-MADISON
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