Spektrum der Wissenschaft - 09.2019

(Tuis.) #1

Spektrum der Wissenschaft 9.19 13


Mit nur wenigen Zutaten haben Forscher »tanzende«
Lipidbläschen erzeugt, die periodisch zwischen
verschiedenen Formen wechseln (Computergrafik).

THOMAS LITSCHEL / PETRA SCHWILLE LAB, MPI FÜR BIOCHEMIE


lich unverzichtbar sind. Sie stellt sich so etwas wie eine
perfekte synthetische Zelle vor, in der sämtliche Faktoren
bekannt sind, die dem Gebilde »Lebenskraft« verleihen.
Wissenschaftler versuchen bereits seit mehr als 20
Jahren, künstliche Zellen zu erzeugen, indem sie Biomole-
küle so zusammenfügen, dass die dabei entstehenden
Systeme verschiedene Aspekte des Lebens abbilden. Es
gibt zwar viele Merkmale, die lebende Strukturen auszeich-
nen, generell lassen sie sich aber in drei Kategorien einord-
nen: Kompartimentierung, also räumliche Trennung von
Biomolekülen; Metabolismus, sprich biochemischer Stoff-
umsatz; und Informationsverarbeitung.
Die einschlägigen Forschungsarbeiten nehmen immer
mehr an Fahrt auf, was unter anderem daran liegt, dass so
genannte Mikrofluidik-Anwendungen große Fortschritte
machen. Dazu gehören beispielsweise Chiplabore, bei
denen flüssigkeitsgefüllte Reaktions- und Analysekammern,
Strömungskanäle, Mikropumpen, -ventile und Sensoren auf
einem kreditkartengroßen Chip untergebracht sind. Diese
Techniken erlauben es den Wissenschaftlern, einzelne
Zellen zu analysieren und die Bewegungen von Zellbestand-
teilen zu beeinflussen. Forschergruppen ist es bereits
gelungen, zellähnliche Bläschen in bestimmte Formen zu
bringen, einen rudimentären Stoffwechsel in Gang zu
setzen und im Labor hergestellte Genome in lebende Zellen
einzuschleusen. All dies miteinander zu kombinieren, bleibt
freilich eine Herausforderung.

AUF EINEN BLICK
DER WEG ZUM KÜNSTLICHEN LEBEN

1


Forscher versuchen künstliche Organismen herzustel-
len, indem sie Biomoleküle so zusammenfügen, dass
die dabei entstehenden Systeme verschiedene Eigen-
schaften lebender Zellen annehmen.

2


In Versuchen mit Lipidbläschen, so genannten Lipo-
somen, gelang es bereits, rudimentäre Zellorganellen
zu erschaffen, die einige Schritte des Energie-
stoffwechsels oder der Fotosynthese ausführen.

3


Durch Einbringen eines künstlichen Genoms in ein
künstliches Liposom möchten die Wissenschaftler
einen vollständig synthetischen Organismus erzeugen.
Offen ist die Frage, ob dieser evolvieren würde.


Es waren gerade einmal acht Zutaten: zwei Sorten
Proteine, zwei Arten von Lipidmolekülen, drei Puffer-
substanzen und ein wenig chemische Energie. Doch
sie reichten aus, einen Schwarm lebhaft pulsierender
Bläschen zu erzeugen, bei denen es sich um rudimentäre
zellähnliche Strukturen handelte – ausgestattet mit Mecha-
nismen, um sich selbst zu teilen. Für die Biophysikerin
Petra Schwille stellen diese tanzenden Gebilde einen wichti-
gen Schritt hin zu künstlichen Zellen dar, die aus grundle-
genden molekularen Bestandteilen zusammengefügt
werden, also nicht von Lebewesen abstammen. Das Ziel,
mit einer solchen »Bottom-up«(»von Grund auf«)-Methode
ein System herzustellen, das die Merkmale eines lebenden
Organismus aufweist, verfolgt Schwille seit gut zehn Jah-
ren – aktuell am Max-Planck-Institut für Biochemie in
Martinsried.
»Mich hat immer schon die Frage fasziniert, was lebende
von nichtlebender Materie unterscheidet«, erzählt die
Biophysikerin. Die Herausforderung bestehe für sie darin, zu
ermitteln, welche Bestandteile für lebende Systeme wirk-

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