Spektrum der Wissenschaft - 09.2019

(Tuis.) #1
Lipidmembranen, die biologische Zellen umgeben und
deren Inneres kompartimentieren, also in separate Reak-
tionsräume unterteilen. Membranen sind unverzichtbar
dafür, Moleküle so zu organisieren, dass sie zur richtigen
Zeit und am richtigen Ort zusammenwirken. Würde man
beispielsweise die Zellmembranen von Bakterien auflösen
und den Inhalt der Mikroben in ein Reagenzglas schütten,
kämen die lebenserhaltenden Prozesse darin schon bald
zum Erliegen. Denn in einer funktionierenden Zelle müssen
bestimmte Komponenten getrennt voneinander bleiben,
andere hingegen selektiv zusammenkommen.

Lipidmembranen als Dreh- und Angelpunkt
Meist wird das dadurch erreicht, dass Biomoleküle an
Membranen gebunden oder von diesen umschlossen sind.
Schwille und ihre Kollegen haben viel Expertise darin, sol -
che Systeme nachzubilden. Vor etwa zehn Jahren began-
nen sie damit, Min-Proteine, die eine Rolle bei der bakteriel-
len Zellteilung spielen, zu künstlichen Lipidmembranen
hinzuzugeben. Wie die Wissenschaftler feststellten, brach-
ten die Eiweiße die Membranen dazu, sich wellenähnlich
zu verformen. Fügte das Team die Proteine zu dreidimensio-
nalen Lipidkugeln hinzu, platzten diese wie Seifenblasen.
Schwilles Gruppe und andere Forscher gingen dazu
über, mit Hilfe der Mikrofluidik-Technik so genannte Liposo-
men herzustellen – zellgroße Bläschen mit einer Membran
aus Lipidmolekülen, die einen wassergefüllten Hohlraum

Im September 2017 haben Wissenschaftler aus 17 nie-
derländischen Laboren die gemeinsame Forschungsplatt-
form BaSyC (»Building a Synthetic Cell«, deutsch: eine
künstliche Zelle bauen) gegründet. Deren Ziel lautet, binnen
zehn Jahren ein zellähnliches System herzustellen, das zu
Wachstum und Teilung fähig ist, wie die Biophysikerin
Marileen Dogterom erläutert, die dem Vorstand von BaSyC
angehört und eine Arbeitsgruppe an der Technischen
Universität Delft leitet. Die niederländische Regierung
unter stützt das Projekt über ihr »Gravitation«-Programm
mit 18,8 Millionen Euro.
Im September 2018 gab die US-Behörde National Sci-
ence Foundation ihr erstes Programm für synthetische
Zellen bekannt, gefördert mit zehn Millionen US-Dollar. Und
mehrere europä ische Forscher, darunter Schwille, haben
die Schaffung solcher Strukturen als mögliches Flaggschiff-
Projekt der EU vorgeschlagen, was eine Förderung von
einer Milliarde Euro zur Folge hätte; allerdings wird die EU
ihr Flaggschiff-Programm wohl nicht fortsetzen, wie die
Fachzeitschrift »Science« berichtete. Vertreter der Syntheti-
schen Biologie halten es für möglich, dass die ersten voll-
ständig künstlichen Zellen in rund zehn Jahren das Licht der
Welt erblicken. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir das
schaffen werden«, meint Schwille.
Schon jetzt können Forscher auf wichtige Erfolge ver-
weisen, wenn es darum geht, einzelne Aspekte zellulären
Lebens nachzubilden. Das gilt besonders hinsichtlich der

Die Bläschen-Maschinen


Mit Hilfe von Mikrofluidik-Chips
stellen Forscher kleine Bläschen
aus Lipidmolekülen her, so genann-
te Liposomen, die den Membranen
von Zellen ähneln. Solche Struktu-
ren lassen sich etwa mit einem Chip
produzieren, auf dem sechs Kanäl-

chen zusammenlaufen. An deren
Verbindungsstelle strömen drei
verschiedene Lösungen so ineinan-
der, dass Flüssigkeitströpfchen
von einem Alkohol-Lipid-Gemisch
umgeben und dann abgeschnürt
werden. Mit der Zeit entsteht um

die Tröpfchen herum eine Lipid-
Doppelschicht, während sich die
überschüssigen Lipidmoleküle
sowie der Alkohol an einer Stelle
sammeln und schließlich spontan
abspalten. Zurück bleibt ein voll-
ständig ausgebildetes Liposom.

NATURE, NACH DESHPANDE, S. ET AL.: OCTANOL-ASSISTED LIPOSOME ASSEMBLY ON CHIP. NATURE COMMUNICATIONS 7, ART. 10447, 2016, FIG. 1; POWELL, K.: HOW BIOLOGISTS ARE CREATING LIFE-LIKE CELLS FROM SCRATCH. NATURE 563, 2018

0,01 bis 0,05 Sekunden 1 bis 5 Minuten

innere Lösung


äußere
1-Octanol (ein Alkohol) mit Lösung
darin gelösten
Lipiden

50 Mikrometer

Liposom mit
seitlicher
Ausbuchtung

Liposom mit
einer Lipid-
Doppelschicht

spontanes
Abspalten

1-Octanol und
überschüssige
Lipide
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