Spektrum der Wissenschaft - 09.2019

(Tuis.) #1

Rückschlüsse darauf, wie die Zellgestalt den Teilungsme-
chanismus beeinflusst. Auch lässt sich damit untersuchen,
wie Min-Proteine in Zellen unterschiedlicher Abmessung
und Form funktionieren.
Seit es möglich ist, Liposomen mit molekularen Kompo-
nenten zu beladen, ohne sie dadurch zum Platzen zu brin-
gen, können die Forscher analysieren, wie sich Moleküle in
einem zellähnlichen System zur Zusammenarbeit bewegen
lassen. Lebende Strukturen benötigen Energie – bei natürli-
chen Organismen normalerweise in Form der Verbindung
Adenosintriphosphat (ATP). Zwar lässt sich ein solcher
Energieträger von außen zuführen, doch viele Synthetische
Biologen sind der Ansicht, dass eine echte künstliche Zelle
ihr eigenes »Kraftwerk« haben sollte – also eine Struktur,
die sich mit den Mitochondrien in tierischen Zellen oder den
Chloroplasten in pflanzlichen Zellen vergleichen lässt; beide
stellen ATP her.
Eine Gruppe um Joachim Spatz vom Max-Planck-Institut
für medizinische Forschung in Heidelberg hat ein rudimentä-


res Mitochondrium erzeugt, das ATP im Innern eines Vesi-
kels produziert. Hierbei nutzten die Wissenschaftler wieder
die Vorteile der neuen Mikrofluidik-Techniken. Zunächst
stabilisierten sie Liposomen des Typs GUV mit Hilfe von
Polymerschichten. Dann schickten sie die Bläschen durch
einen Mikrokanal und gaben dort große Proteine hinzu,
entweder in den Innenraum des Liposoms oder in dessen
Lipidmembran hinein (»Protozellen vom Fließband«, rechts).
Spatz und seine Kollegen beluden die Membranen mit ei-
nem Enzym namens ATP-Synthase, das ATP erzeugt und
dabei von Protonen angetrieben wird, die entlang eines
Konzentrationsgefälles fließen. Indem die Wissenschaftler
Säuren zur Außenlösung hinzugaben und so den pH-Wert
außerhalb der Liposomen senkten, trieben sie die ATP-
Produktion im Innern der Bläschen an. Wie Spatz berichtet,
lassen sich die Liposomen zwecks weiterer Proteininjektio-
nen erneut in den Mikrokanal einschleusen. So könne man
beispiels weise ein zusätzliches Enzym in die Bläschen
einbauen, das den Protonengradienten aufrechterhält,
welcher die ATP-Synthase antreibt. »Damit kämen wir
einem lebenden System einen wichtigen Schritt näher.«
Wissenschaftler um den Biochemiker Tobias Erb vom
Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Mar-
burg verfolgen einen alternativen Ansatz, um zelluläre
Stoffwechselreaktionen nachzustellen. Sie interessieren
sich dafür, wie fotosynthetisch aktive Mikroorganismen
Kohlenstoffdioxid aus der Umgebung herausfiltern und in
Zucker und andere organische Verbindungen umwandeln.
Bei ihren Experimenten setzen sie quasi bei null an und
versuchen, einen entsprechenden Stoffwechsel von Grund
auf zu konstruieren. »Wie nehmen die Perspektive von Inge-
nieuren ein und überlegen uns zuerst, wie wir etwas gestal-
ten wollen, bevor wir es in die Realität umsetzen«, sagt Erb.

Fotosynthese im Labor: Besser
als ihr natürliches Vorbild?
Der Biochemiker und seine Mitarbeiter haben ein System
entworfen, das Kohlenstoffdioxid in Malat umsetzt, ein
wichtiges Stoffwechselzwischenprodukt der Fotosynthese.
Dabei hatten sie den Anspruch, dass der synthetische
Metabolismus effizienter funktionieren sollte als sein Ge-
genstück in natürlichen Zellen. Die Forscher durchsuchten
Datenbanken nach Enzymen, die die jeweiligen Einzelreak-
tionen katalysieren. Einige davon optimierten sie mit bio-
technologischen Verfahren. Letztlich wählten sie 17 Enzyme
aus neun unterschiedlichen Organismen aus, etwa aus
Escherichia coli, der Ackerschmalwand (Arabidopsis thalia-
na), einem Archaeon und aus menschlichen Zellen. Das
Stoffwechselsystem, das sie daraus zusammenstellten,
erwies sich allerdings als ineffizient und langsam.
»Wir hatten Enzyme zusammengepackt, die nicht gut
miteinander harmonieren«, resümiert Erb. Doch nachdem
das Team weitere Anstrengungen unternommen hatte, die
Proteine zu optimieren, landete es irgendwann bei der
verbesserten »Version 5.4« des künstlichen Systems, die
um 20 Prozent effizienter funktioniert als der natürliche
Mechanismus.
Die Arbeiten gehen weiter, und Erb und seine Mitarbeiter
haben damit begonnen, einen rudimentären künstlichen

Hier befördern Spritzenpumpen (hinten links) die ge-
wünschte Innenflüssigkeit von Liposomen in ein schnell
rotierendes Gefäß (vorne rechts). Dieses presst die
Flüssigkeit durch Öl und bringt so die Liposomen hervor.


THOMAS LITSCHEL / PETRA SCHWILLE LAB, MPI FÜR BIOCHEMIE
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