Focus - 24.08.2019

(Brent) #1
SPORT

Foto: dpa


FOCUS 35/2019 111

E


ine Frau aus Metall steht
zwischen hohen Kiefern und
wuchtigen Rhododendren
im Garten des „Café K“. Die
Georg-Kolbe-Statue streckt
den Rücken durch, sie trägt
den Titel „Auferstehung“.
Drinnen im gediegenen Charlottenburger
Künstlercafé hängen Fotos einer Ausstel-
lung über Havanna. Eines davon zeigt
den jungen Comandante Fidel Castro.
„Viva la Revolución“ steht darunter.
Auferstehung oder Revolution?
Der Mann, der diese Frage für den
deutschen Basketball beantworten soll,
ist bereits aus der Ferne auszumachen.
Umgeben von älteren Damen in feiner
Garderobe, leuchtet die gelbe T-Shirt-
Aufschrift „Deutschland Basketball“ auf-
fällig von seinem Rücken. Henrik Rödl ist
unübersehbar. Dafür sorgt schon eine Grö-
ße von 2,01 Metern, die ihn noch im Sitzen
zum Riesen macht. Der Bundestrainer ist
oft hier. Er wohnt um die Ecke und schätzt
die Ruhe der nahen Wälder und Seen.
80 000 Kilometer fährt Rödl jedes Jahr
mit dem Auto von Basketballfeld zu Bas-
ketballfeld. Hinzu kommen Flugreisen
nach Spanien, in die Türkei, Osteuropa
und vor allem in die USA, um seine Spieler
zu sehen. Rödl wirkt müde.
Er selbst ist der Beweis dafür, dass Bas-
ketball „made in Germany“ international
erfolgreich sein kann: 1993 errang der
siebenfache Deutsche Meister im eige-
nen Land den Europameister-Titel und
wurde 2002 mit Basketball-Legende Dirk
Nowitzki WM-Dritter. Es waren und sind
die größten deutschen Erfolge in diesem
Sport. Danach kam nicht mehr viel.

Auferstehung oder Revolution – wo steht
Deutschlands Basketball, Herr Rödl?
(Rödl atmet schwer aus) Puuuh, schwer
zu sagen. Jedenfalls ist es eine Superzeit,
um Bundestrainer zu sein.
Warum?
Weil die Mannschaft sehr jung und sehr
talentiert ist. Sie kann noch zehn Jahre
auf hohem Niveau zusammenspielen und
sich stetig verbessern. In der Spitze und in
der Breite sind wir so gut aufgestellt wie
noch nie zuvor. Wir können uns mit der
Zeit in der Weltspitze etablieren.
Neben Top-Star Dennis Schröder spielen
gerade fünf Deutsche in der amerikanischen
NBA. Deutschland hat Qualität ohne Ende.
Stopp! Dennis Schröder, Maxi Kleber
und Daniel Theis sind zwar Leistungsträ-
ger und müssen Verantwortung überneh-

men. Aber andererseits haben auch Kana-
da, Australien, Frankreich, Russland oder
Serbien mittlerweile viele Spieler in der
NBA. Amerikas Profi-Liga hat sich kom-
plett geöffnet. Auch deshalb wird die WM in
China das beste Turnier aller Zeiten sein.
In der WM-Qualifikation hat
Deutschland sogar Vize-Olympiasieger
Serbien gleich zweimal besiegt.
Stimmt. Das hat aber null Indikation.
Die besten Spieler waren ja während der
Qualifikation in der NBA oder EuroLeague
beschäftigt. Aber ich spüre, dass sich die
vor ein paar Jahren in der deutschen Liga
eingeführten Standards bei der Jugend-
arbeit jetzt für die Nationalmannschaft
bezahlt machen. Seit damals muss jeder
Bundesligist mindestens sechs Deutsche
im Kader haben und auch Jugendteams
entwickeln, wenn er keine hohe Geldstra-
fe zahlen will. Wirtschaftlich und sportlich
sind deutsche Clubs auf Augenhöhe mit
den besten Vereinen Europas.

Schon Rödls Vater spielte in der Studenten-
Nationalmannschaft und war der erste
Trainer des Sohnes. Bereits mit 17 Jahren
wechselte Henrik auf die Highschool von
Chapel Hill in North Carolina, um sein
Spiel weiter zu verbessern. Dort lernte
er auch seine Freundin Susan Andrews
kennen. Das Paar überstand eine zwei-
jährige Fernbeziehung, als Rödl nach
der Highschool zwischenzeitlich nach
Deutschland zurückging, um Abitur zu
machen. Es folgte Rödls zweiter Aufent-
halt in Chapel Hill, diesmal am College,
und 1991 die Heirat mit Susan. Auch
sportlich lief es bestens: 1993 gewann
Rödl mit dem College-Team, für das
schon die Branchenlegende Michael
Jordan gespielt hatte, die Staatsmeis-
terschaft und wurde zum wertvollsten
Spieler des Jahres gewählt. Die USA
veränderten nicht nur den Menschen,
sondern auch den Basketballer Rödl. Bis
dahin war der gebürtige Offenbacher ein
Schütze. Nun ließ er sich zum Verteidi-
ger umschulen, um mehr Einsatzzeit zu
erhalten. Denn gute Werfer gab es in den
USA ohnehin genug.

Ihr erster Trainer war Ihr Vater. Was
hat er Ihnen beigebracht, das noch
heute Gültigkeit für Sie hat?
Er lehrte mich, dass nur die Leidenschaft
des Augenblicks zählt. Das reine Siegen
darf nie im Vordergrund stehen. Die Freu-
de an der Bewegung macht den Erfolg.
Sie haben 2004 Ihre aktive Karriere be-
enden müssen, weil die Knie nicht mehr
mitspielten. Träumen Sie manchmal von
Ihren schönsten Momenten auf dem Feld?
Nein, aber wenn ich eine Halle betrete,
denke ich immer noch, ich könnte zum
Korb hochsteigen und den Ball reinpfef-
fern. Dabei sind meine Knie seit 15 Jahren
nicht mehr wettkampftauglich.
1993 haben Sie mit North Carolina
die College-Meisterschaft gewonnen,
und US-Präsident Bill Clinton lud Sie
ins Weiße Haus ein. Ein Erlebnis?
Absolut. Einer meiner größten Momen-
te. Ich weiß noch, wie wir im Garten mit
seiner Katze spielten, weil Clinton mit dem

Bosnienkrieg zu tun hatte. Es war ein bru-
taler Tag am Balkan, und der Präsident
hatte gerade die Welt gerettet. Im totalen
Stress hatte Clinton einer Horde Journa-
listen erst mal noch Fragen zur Weltpolitik
beantworten müssen, und im nächsten
Augenblick lächelte er uns an, machte
Witze und gab uns das Gefühl, als seien
wir, ein College-Team aus North Carolina,
das absolut Wichtigste des Tages. Es war
ein faszinierender Augenblick für mich.
Als Teenager haben Sie mit Ihrer heutigen
Frau Susan zwei Jahre eine Fernbeziehung
geführt. Wie gelingt das, ohne dass die
Partnerschaft daran zerbricht?
Meine Frau und ich sind klare und kon-
sequente Persönlichkeiten, und es war und
ist die Liebe unseres Lebens. Wir haben
uns damals in allen Ferien gesehen und
sehr, sehr viel telefoniert. Wobei meine
Frau öfter anrief als ich, weil es von Ameri-
ka aus damals zwei Dollar kostete, umge-
kehrt aber vier Mark. Auch haben wir uns
fast jeden Tag Briefe geschrieben.
Mussten Sie Ihrer Frau nicht versprechen,
als Basketball-Rentner mit ihr nach North
Carolina zurückzukehren?

„In der Spitze und in der Breite sind wir so


gut aufgestellt wie noch nie zuvor“
Henrik Rödl, Bundestrainer
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