Focus - 24.08.2019

(Brent) #1

AGENDA


Foto: action press

26 FOCUS 35/2019


gehören ihr in Deutschland an. Sie sind
die Kinder der Ära Merkel, die mit dem
Internet groß wurden. Sie informieren
sich bei YouTube und Snapchat, und für
die politische Meinungsbildung sorgt ein
Typ mit blauen Haaren, der sich Rezo
nennt.


Sehnsucht nach Sicherheit


Obwohl die Generation im Überfluss auf-
gewachsen ist, schätzt sie die aktuelle
Gesellschaftslage so pessi-
mistisch ein wie keine ande-
re zuvor. Das könnte auch ein
Grund dafür sein, dass Pame-
la Reif trotz ihres digitalen
Glamourlebens noch daheim
bei ihrer Mutter in Karlsruhe
wohnt.
Eine Deloitte-Studie zeigt,
dass nur sieben Prozent der
Generation Z an soziale und
politische Verbesserungen
glauben. Terrorismus, Mig-
rationskrisen, Trump, Bre-
xit oder Klimawandel: Das
alles belastet sie. 77 Prozent
wünschen sich deshalb mehr
Sicherheit und Stabilität. Das
geht aus einer Umfrage der
Psychologin Ines Imdahl her-
vor. Am meisten fürchten die
Jugendlichen den Kontroll-
verlust.
In der Wirtschaftskrise 2008
waren sie zwar noch Kinder,
aber sie lernten, dass Jobs
vergänglich sind. Befristete Arbeitsver-
träge, Massenentlassungen und das
dauerhafte Praktikantendasein gehö-
ren für sie zur Normalität. Genau wie
der Gedanke, früher oder später Roboter
als Arbeitskollegen zu haben – oder von
ihnen ersetzt zu werden. Am beliebtes-
ten sind die Studiengänge Betriebswirt-
schaftslehre, Jura, Maschinenbau und
Ingenieurwesen. Etwas Solides eben.
Während die Generation X für die
Arbeit zu leben schien, möchten die Z-ler
keineswegs bis zur Selbstaufgabe schuf-
ten. Schließlich haben sie erlebt, welch
hohen Preis die Burnout-Generation ihrer
Eltern für ihren Fleiß bezahlt hat.
Jil Eileen Füngeling etwa lebt das
Leben, nach dem viele in ihrer Gene-
ration streben: Sie ist Reise-Bloggerin.
Schon mit 21 Jahren war sie stellvertre-


tende Abteilungsleiterin in einem Möbel-
haus in Frechen bei Köln, doch das war
ihr nicht genug. Sie sagt: „Mein Job hat
mir Spaß gemacht, aber ich habe festge-
stellt, dass er mich nicht wirklich erfüllt.
Ich bin nur einmal jung.“
Füngeling ließ sich für zwölf Monate
beurlauben und machte eine Weltreise.
Sie tourte durch 28 Länder. Ihre Aben-
teuer hielt sie auf Fotos fest und postete
sie bei Instagram: Jil auf einem Felsen

in Brasilien. Jil in dicker Daunenjacke
in Neuseeland. Jil mit Surfbrett auf Bali.
Lebensfreude vor wechselnden Kulis-
sen. Inzwischen folgen der Kölnerin rund
60 000 Menschen, und sie verdient mit
ihrem Profil genug, um ihren Lebensstil
zu finanzieren. Reiseveranstalter, Mode-
marken und Schmuckhersteller bezah-
len sie als Markenbotschafterin. Neben
dem Reisen arbeitet sie aber auch wieder
für das Möbelhaus. „Ich bin froh, dieses
feste Standbein zu haben“,
sagt die 24-Jährige, „es ist gut
zu wissen, dass die Fixkosten
gedeckt sind.“

Scheitern in Perfektion
In diesem Alter bereits einen
so extravaganten Lifestyle zu
pflegen, klingt für ältere Gene-
rationen mindestens merkwür-
dig. Doch was ist heute schon
normal? Es gibt kein normal
mehr, nur noch besonders,
besonderer, am besondersten.
Die Generation Z wächst in
eine Gesellschaft hinein, die
der Soziologe Andreas Reck-
witz als die „Gesellschaft der
Singularitäten“ bezeichnet.
Erfolgreich ist nur, wer beson-
ders attraktiv und einzigartig
erscheint. Die sozialen Medien
ermöglichen Selbstdarstellung
auf einem neuen Level. Nir-
gendwo kann man besser die
eigene Originalität beweisen.
Wer nicht aus der Masse der Instagram-
Nutzer heraussticht, erhält keine Follo-
wer, keine Likes, die kostbarste Währung
dieser Generation. In ihrer Umfrage fand
Psychologin Imdahl heraus, dass die Z-ler
kaum mehr zwischen virtuellem Raum
und realem Leben unterscheiden. Zwei
Drittel der jungen Befragten können ihre
Erlebnisse erst dann richtig begreifen,
wenn sie als Foto existieren.
Die ständige Handy-Nutzung wirkt wie
eine Droge. Die Generation Z ist süchtig.
Süchtig nach Aufmerksamkeit, süchtig
nach Zuspruch, süchtig nach ihrer ver-
meintlich heilen Instagram-Welt, die ein
Reflex auf die Mängel der Realität sein
mag. Die Jugendlichen streben dabei
nach einer Perfektion, die ihnen von
Influencern auf YouTube und Instagram
vorgelebt wird. Wie die 22-jährige Reality-

Generation Selfie Influencerin Bianca „Bibi“ Heinicke posiert mit einem
Fan für ein Selbstporträt. Die Follower sehen sie als Freundin

In einer Welt ohne Normen suchen sie nach festen Regeln


Traditionalisten (1935–1949)
Ereignisse: Zweiter Weltkrieg, Wiederaufbau
Merkmale: Konformität, Wertebewusstsein

Babyboomer (1950–1965)
Ereignisse: Wirtschaftswunder, Geburtenboom
Merkmale: Workaholics, Rebellion gegen Establishment

Generation X (1966–1980)
Ereignisse: Wirtschaftskrise, hohe Scheidungsrate
Merkmale: Misstrauen, Sehnsucht nach Individualität

Generation Y (1981–1994)
Ereignisse: Internet, Globalisierung, Terrorismus
Merkmale: Work-Life-Blending, Feedback als
Orientierungshilfe

Generation Z (1995–2010)
Ereignisse: Digitalisierung des Alltags, Social Media
Merkmale: Retraditionalisierung, Sicherheitswunsch

Das Quintett der Generationen

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