Focus - 24.08.2019

(Brent) #1
JUGEND

„Als Chef


muss ich


Aufgaben


besser


begründen


und mehr


Feedback


geben“
Henning Müller-Ritzrow,
Agenturchef

FOCUS 35/2019 27


TV-Ikone Kylie Jenner,
die ihre 144 Millionen
Abonnenten an ihrem
scheinbar makellosen
Leben teilhaben lässt;
teure Autos, heiße Outfits,
glückliche Familie.
Auch das Reisen lässt sich
auf Social Media bis zur Per-
fektion inszenieren. Kaum
einer beherrscht das so gut
wie der 24-jährige Jay Alvar-
rez. Mit Fallschirmsprüngen
über türkisblauen Ozeanen
oder Drohnenvideos von
schneeweißen Stränden auf
den Malediven begeistert der
braun gebrannte Hawaiianer
6,4 Millionen Instagram-
Nutzer.
Doch diesem Perfektions-
druck halten die Z-ler auf Dauer nicht
stand. Auch das Scheitern stellen ihre
Protagonisten öffentlich zur Schau, etwa
Billie Eilish, die sich verletzlich, ehrlich,
eben nicht perfekt gibt. Die britische
„Vogue“ bezeichnete die US-Sängerin
sogar als wichtigsten Popstar der Gene-
ration Z. Auf Konzerten tritt die 17-Jäh-
rige oft mit ungewaschenen Haaren und
weiten Klamotten auf. Die Amerikanerin
bekennt sich zu ihrer Depression und
spricht offen darüber.
Gesundheit, körperlich wie mental,
ist für die Generation Z ein großes The-
ma. Dazu gehört auch, dass man sich in
der Community ausführlich den eige-
nen Krankheiten widmet. „Die jungen
Erwachsenen sind viel reifer in ihrer
Selbstentwicklung, weil sie mehr über ihr
Innenleben nachdenken”, sagt die Gene-
rationenforscherin Steffi Burkhart. Perfekt
wie Jenner und achtsam wie Eilish – für
die Generation Z ist das eine nicht ohne
das andere denkbar.


Feste Strukturen, geordnete Welt


Diese Eigenschaften scheinen im 21. Jahr-
hundert besonders wichtig zu sein, sie
geben Halt. Nichts ist mehr festgelegt,
nichts unmöglich. Jeder darf jeden lieben.
Nacktheit, Irokesenschnitte, Tattoos und
Piercings sind kein Akt des Widerstands
mehr. Alles schon mal da gewesen. Die
größtmögliche Rebellion ist der Griff zum
Smartphone, während man mit den Eltern
am Tisch sitzt.


Dachterrasse, Kaffeebar, Kindergarten-
plätze für den Nachwuchs – so stellen sich
viele junge Menschen ihr Arbeitsumfeld
vor. Das geht zu weit, findet Tech-Gründer
Mathias Keswani aus Hamburg. Er hat
beschlossen, in den nächsten Jahren keine
Bewerber aus der Generation Z mehr ein-
zustellen. Schon im Vorstellungsgespräch
forderten manche, zweimal wöchentlich
um 17 Uhr gehen zu dürfen, um Sport zu
treiben. Andere verlangten eine 3-Tage-
Woche. In Keswanis Firma sei das nicht
möglich. Er sagt: „Wer nach sechs Stunden
zum Yoga muss, ist für uns keine Hilfe.“
Andererseits verlangt die Arbeitswelt
der jungen Generation auch viel mehr
ab als früher: Kaum noch jemand wird
sein Berufsleben in ein und demselben
Betrieb verbringen, befristete Verträge
erschweren die Karriereplanung. „Die-
se Generation ist produktiv und hat das
Potenzial, sehr erfolgreich zu sein“, sagt
Expertin Burkhart. Die jungen
Menschen arbeiteten beson-
ders effektiv. Sofern sie in
der Arbeit einen Sinn er-
kennen und sich in der
Firma wohlfühlen.
Henning Müller-Ritz-
row stellt sich dieser
Herausforderung. Er
führt eine Werbeagen-
tur in Offenbach am
Main und spendiert jun-
gen Mitarbeitern sogar eine
Reise zum Jobeinstieg. Die
Idee: „Fliegen nach der Pro-
bezeit.“ Egal, ob Barcelona,
London oder Helsinki – der
Chef zahlt. „Wir brauchen
dringend junge Leute, und
Offenbach ist nicht gerade
ein Standortvorteil“, sagt er.
Bei Facebook bewarb er die
Reise-Aktion und konnte so
schon sieben neue Mitarbei-
ter gewinnen.
„Würden Alt und Jung zu-
sammenarbeiten und sich
gemeinsam für bessere Ar-
beitsbedingungen einsetzen,
könnten sie eine viel lebenswertere
Arbeitswelt erschaffen“, sagt Steffi Burk-
hart. Die Generation Z könnte eines
Tages rückblickend die „Generation der
Arbeitsweltoptimierer“ sein. Produktiv,
gesund und glücklich. n

In dieser Welt der
absoluten Freiheit sucht
die Generation Z nach
festen Regeln, sagt Steffi
Burkhart. Das traditionel-
le Familienideal lebt wieder
auf: Laut der Deloitte-Studie
wünschen sich 45 Prozent
eigene Kinder – fast 10 Pro-
zent mehr als noch vor ein
paar Jahren. Im Privatleben
wird die Jugend eher kon-
servativer als progressiver.
Das liegt auch an ihren
Vorbildern. Die 26-jährige
Bianca „Bibi“ Heinicke ist
Deutschlands größter You-
Tube-Star. Mehr als fünf
Millionen Menschen kli-
cken regelmäßig auf die
Videos von „BibisBeauty-
Palace“. Die Kölner YouTuberin hat
vor einem Jahr ein Kind bekom-
men und mit 25 Jahren ihren
Freund Julian geheiratet,
mit dem sie bereits seit
fast 10 Jahren liiert war:
#couplegoals.
Auf die neue Sehn-
sucht nach Strukturen
haben sich viele Kon-
zerne inzwischen ein-
gestellt.
So gestaltet die Firma
Apple ihre Stores weltweit
nach den gleichen Prinzipien:
puristisches Design, maxima-
le Übersicht, damit die Pro-
dukte schnell zu finden sind.
Denn diese Merkmale haben
die jungen Menschen an den
Shopping-Portalen im Inter-
net schätzen gelernt. Wenn
sie ähnliche Strukturen jen-
seits des Monitors vorfinden,
fühlen sie sich wohl.

Sinnsuche am Arbeitsplatz
„Das größte Talent unse-
rer Generation ist, dass wir
das Leben genießen kön-
nen“, sagt Bloggerin Jil Eileen Fünge-
ling. Ältere Zeitgenossen mögen nun
ihren Verdacht bestätigt sehen, dass
die Jugend von heute und der moderne
Arbeitsmarkt nicht so richtig kompati-
bel sind.

„Diese


Generation


hat das


Potenzial,


sehr


erfolgreich


zu sein“
Steffi Burkhart,
Generationenforscherin
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