Focus - 24.08.2019

(Brent) #1

POLITIK


30 FOCUS 35/2019


2014
Die Partei zieht bei Wahlen in Ost-
deutschland erstmals in Parlamente
ein: 9,8 Prozent in Sachsen,
10,6 Prozent in Thüringen,
12,2 Prozent in Brandenburg

Januar 2019
Die Parteispenden-
affäre um Alice Weidel
wird bekannt: Sie soll
illegale Wahlkampf-
unterstützung aus der
Schweiz erhalten haben.
Staatsanwälte
ermitteln bis heute

Juli 2019
Wahlkampfauftakt in
Cottbus. Die AfD hat
beste Chancen, am


  1. September in Sach-
    sen und Brandenburg
    stärkste Kraft zu wer-
    den. Acht Wochen spä-
    ter wird in Thüringen
    gewählt. Auch hier
    könnte die Partei
    gewinnen


Februar 2013
Aus der „Wahl-
alternative“ wird die
Alternative für
Deutschland (AfD)
und Wirtschaftspro-
fessor Bernd Lucke (r.)
einer der drei Sprecher

September 2012
Die „Wahlalternative
2013“ wird unter
anderem von Bernd
Lucke, Alexander
Gauland und Konrad
Adam gegründet

n der Berliner Kurfürstenstraße
wurde schon so manch windiges Geschäft
abgeschlossen, die Drogenszene hat hier,
im schäbigsten Teil des Bezirks Tiergar-
ten, einen ihrer Hotspots. Sechs Stock-
werke über einem geschlossenen „Ero-
tik-Labyrinth“, in dessen Räumlichkeiten
heute ein Wettbüro ist, residiert die Ber-
liner AfD. Regelmäßig trifft sich dort der
Bundesvorstand der Partei. So auch am
Freitag vergangener Woche. Wie schon
einige Male zuvor forderte Georg Paz-
derski, Landes- und Fraktionschef und im
Bundesvorstand zuständig für Strategie-
fragen, endlich eine Entscheidung. Dies-
mal gab Parteichef Alexander Gauland
nach. „Dann stimmen wir jetzt darüber
ab – in Gottes Namen!“
Mit großer Mehrheit nahmen die Vor-
stände ein Dokument an, das eine partei-
interne Revolution ausruft. Scheinbar. Die
72 Seiten erklären detailliert
die Strategie der Partei für
die kommenden Jahre. Die
Rechtsaußen-Partei, so steht
es dort, will seriös werden.
Wirklich! Wirklich?
Auf jeden Fall will sie ge-
winnen. In Sachsen, Bran-
denburg und Thüringen ste-
hen Wahlen an. Sollten sich
die Prognosen bewahrheiten,
wird die AfD abräumen. Der
Triumph der „Alternative“
wird wohl die politischen
Verhältnisse in den Ländern
umpflügen, er wird das poli-
tische Berlin erzittern lassen. Der SPD
droht eine verheerende Pleite, in deren
Folge die GroKo schlicht implodieren
könnte. Im Osten des Landes und auf
Bundesebene stellt sich die Machtfrage.
Und, womöglich noch dramatischer, es
stellt sich die Frage nach dem Zusammen-
halt der Republik.


Vielleicht fehlen der AfD noch die Kraft
und die Partner, selbst Regierungsver-
antwortung zu übernehmen. Doch zur
Spaltung des Landes reicht es jetzt schon.
Was die Wucht der AfD ausmacht? Mit
Geschlossenheit, klaren Zielen und cha-
rismatischem oder zumindest überzeu-
gendem Spitzenpersonal kann die Partei
jedenfalls kaum punkten. Womit aber
dann? Was macht die AfD aus? Was macht
sie so stark? FOCUS-Reporter waren in
den vergangenen Wochen auf der Suche
nach Antworten. Sie sprachen mit den
großen und kleinen Fürsten der AfD. Mit
Radikalen und Mitläufern, mit Strippen-
ziehern und Wählern. Und sie machten
sich auf den Weg. Dorthin, wo die AfD
gerade kämpft. Und sich aus Strategie-
papieren nicht allzu viel macht.

Wer hat das Sagen?
Gemäßigte gegen Radikale
Auf dem Marktplatz der Stadt Branden-
burg zählen nur deutliche Ansagen. Der
AfD-Spitzenkandidat und frühere Ober-
feldwebel Andreas Kalbitz lässt dort Flyer
mit der Aufschrift „Die Nato hetzt wieder
gegen Russland“ verteilen.
Dabei hat der Bundesvorstand 48 Stun-
den zuvor in seinen neuen Grundsätzen
einen klaren Befehl zur Mäßigung aus-
gegeben: „Dumpfer Antiamerikanismus
und überbordende, unkritische Russland-
und Putin-Verehrung“ würden das „kon-
servative Bürgertum“ verschrecken. In
diesen begehrten Wählerschichten wür-
den „die Nato und die USA
immer noch als wesentliche
Garanten für Frieden, Frei-
heit und Demokratie in Euro-
pa“ gesehen.
Auf derlei Kreide aber
hat Kalbitz keinen Appetit.
Und wenn der frühere Fall-
schirmjäger sich auf feindli-
chem Terrain wähnt, hält er
Angriff für die beste Vertei-
digung. So auch vergange-
nen Dienstag: Im Potsdamer
Landtag debattierten Schüler
mit den Spitzenkandidaten
aller Parteien. Ausgerech-
net dort nannte Kalbitz die „Fridays for
Future“-Ikone Greta Thunberg ein „zopf-
gesichtiges Mondgesicht-Mädchen“ und
sprach von „ökologischer Selbstbefriedi-
gung“. Kann er sich erlauben, die eigene
Klientel liebt solche kalkulierten Ausfälle.
Seit Kurzem liegt die AfD unter sei-
ner Führung in den Umfragen vor

Juni 2018
Alexander Gauland nennt
Hitler und die Nazis
„einen Vogelschiss“ in
1000 Jahren erfolgreicher
deutscher Geschichte

April 2019
Der Spendenvorwurf
erreicht auch Parteichef
Meuthen. Die Goal AG
soll Anzeigen und Flyer
für knapp 90 000 Euro
produziert haben

März 2019
Der AfD drohen wegen
illegaler Parteispenden
Strafzahlungen von bis
zu 400 000 Euro

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Dann stimmen


wir jetzt
darüber ab –

in Gottes
Namen

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AfD-Chef Alexander Gauland
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