Focus - 24.08.2019

(Brent) #1
POLITIK

Bürgerliche. die die
AfD vor der Radikali-
sierung retten wollen

Bürgerliche, die auch
mit den Rechtsaußen
kooperieren würden

BÜRGERLICHE
OPPORTUNISTEN

Fotos: Axel Schmidt, dpa


Erfolg der Rechtsaußen ergründen soll,
keine Einzelpersonen, sondern beschreibt
Milieus. Frank Großmann ist typischer
Vertreter des Milieus der „prekären Ver-
lierer“.
Auf der anderen Seite des gesellschaft-
lichen Konflikts steht eine „akademisch
ausgebildete urbane Mittelschicht“. Die
Stadt Görlitz wäre optimaler Schauplatz
für Koppetschs Verliererstudien: 32,4 Pro-
zent holte die AfD dort bei der Europa-
wahl, bei der Oberbürgermeisterwahl
musste sich ein Allparteienbündnis hin-
ter dem CDU-Kandidaten sammeln, um
den AfD-Mann im zweiten Wahlgang zu
verhindern. Nach der ersten Runde lag
dieser mit 36,4 Prozent klar vorn.
Frank Großmann war bis vor wenigen
Monaten in der AfD, brachte es zuvor bis
zum Kreis-Chef, im März trat er aus. Die
Partei, so sagt er, wurde ihm unheimlich.
Er war ein AfDler der ersten Stunden,
kam 2013 von der SPD zur damals noch
als „Professorenpartei“ bespöttelten Trup-
pe um ihren Gründer Bernd Lucke. „Ich
bin zweimal mit der Europäischen Union
pleitegegangen“, erzählt er. Erst habe
ihm eine EU-Verordnung die Wiederbe-
lebung eines Freibades in Görlitz unmög-
lich gemacht, ein Jahrzehnt später den
Verkauf von regionalen Wildspezialitäten.
Die Kritik der Lucke-AfD am Euro
leuchtete dem Görlitzer während der Grie-
chenland-Krise sofort ein. Die Partei war
für ihn ein Versuch des Aufbruchs. Der
Gescheiterte fasste neuen Mut. „Wir hat-
ten richtig gute Mitstreiter,
vom Uni-Dozenten bis zum
Arbeitslosen.“
Frauke Petry habe den ers-
ten negativen Veränderungs-
schub gebracht. „Die fing
an, die Partei auf sich zuzu-
schneiden, da gab es einen
richtigen Personenkult“, so
Großmann. Und nachdem
sie 2015 Bernd Lucke vom
Parteivorsitz verdrängt hatte
und kurz danach die Flücht-
linge nach Deutschland
kamen, habe es auch eine
Grenzöffnung bei der AfD
samt ungeordnetem Zustrom gegeben:
„Quasi über Nacht hatte ich ’ne riesige
neue Gruppe Mitglieder hier, da kamen
diese nationalen Typen, diese Leute, die
wir hier bei uns im Osten 20 Jahre unten
halten konnten.“
Schwer zu glauben, dass die Wähler
in Sachsen, Thüringen und Branden-

burg davon nichts mitbekommen haben.
Warum tolerieren sie das? Die Forscherin
Cornelia Koppetsch sieht anderswo ein
Versagen. Bei den„kosmopolitischen Mit-
tel- und Oberschichten“ in den Städten.
Diesen liberalen Eliten gelinge es, ihre
Vorstellungen von Öffnung, Globalisie-
rung und Europa als großen Fortschritt
auszugeben. Dabei entgehe ihnen jedoch,
dass nicht alle Milieus davon profitieren
und die Globalisierung zur Vertiefung
sozialer Gräben beigetragen habe. Eini-
ge der Zurückfallenden hätten dabei
das Gefühl, es würde ihnen der Boden
unter den Füßen weggezogen. „In eini-
gen Aspekten“, so Koppetsch, „verhal-
ten sich die AfD-Wähler durchaus nicht
irrational, sondern haben nachvollzieh-
bare Gründe, eine Politik der Öffnung
zurückzuweisen.“
Entscheidend sei dabei nicht, dass
Menschen objektiv auf der Verliererseite
stehen, sondern dass sie das Gefühl hät-
ten, nicht mehr mitbestimmen zu dürfen.
Hierbei gehe es auch nicht um Ost gegen
West. Das Stigma „alter weißer Mann“
verletze jeden. So erkläre sich, dass die
Partei nicht nur im Osten erfolgreich sei
und dass ihre Wählerschaft eben nicht
mehrheitlich in prekären Verhältnissen
lebe. Allerdings ist der Osten weit anfäl-
liger für Minderwertigkeitsgefühle – hier
wähnen sich viele über ihre Köpfe hinweg
regiert und nicht als gleichberechtigter
Teil eines vereinigten Landes. So fand das
Allensbach-Institut vor wenigen Wochen
im Auftrag der FAZ heraus,
dass sich 47 Prozent der Ost-
deutschen als solche definie-
ren und nicht als Deutsche.
Im Westen sehen sich hinge-
gen 71 Prozent als Deutsche.
Doch müssen sich diese
Emotionen bis hin zum Ras-
sismus artikulieren? Auch
hier schaut die Soziologin
wieder auf die urbanen
Milieus: „Während die den
AfD-Mitgliedern und deren
Wählern zurufen, dass sie
niemanden ausgrenzen und
auf niemanden herabblicken
dürften, übersehen sie zumeist die Verstri-
ckung in eigene Ausgrenzungen – etwa
indem sie sich als Westdeutsche in einer
überlegenen Position gegenüber ‚den
Ossis‘ wähnen und von diesen, die sie
als die Hinzugekommenen betrachten,
Anpassung verlangen“, sagt sie. Derweil
schreckten viele davor zurück, ihre

Jürgen Braun, 57
Der frühere
Journalist ist für die
Kommunikation
der Fraktion
im Bundestag
zuständig

Roland Hartwig, 64
Der Rechtsanwalt und Bundes-
tagsabgeordnete soll
die Radikalen in Schach halten

Georg Pazderski, 67
Der Oberst a. D. verzweifelt
am Flügel und ist
der härteste Gegner von
Kalbitz und Höcke

Uwe Junge, 61
Versucht, als harter
Konservativer
auf Distanz zum rechten
Rand zu kommen –
klappt nicht immer

ANTIRADIKALE
BÜRGERLICHE

»


AfD-Wähler
verhalten

sich nicht


irrational


«
Soziologin Cornelia
Koppetsch

34

Martin Hess, 48
Polizist, genießt Ansehen
bei den Bürgerlichen
und arrangiert
sich mit dem Flügel

Tino Chrupalla, 44
Hat Chancen, neuer
Bundeschef zu werden –
auch mit Stimmen
des Flügels

Alice Weidel, 40
Fraktionschefin, libertär.
Versucht, die bürgerlichen
Kräfte zu koordinieren

Bernd Baumann, 61
Manager der Bundestags-
fraktion, in allen
Parteilagern anerkannt
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