Focus - 24.08.2019

(Brent) #1

POLITIK


38 FOCUS 35/2019


Olaf Scholz kandidiert mit Klara Geywitz für den SPD-Vorsitz.


Beide plädieren für die große Koalition, während viele Genossen


den Ausstieg und einen rot-rot-grünen Neustart fordern


Willst du mit mir gehen?


A


ls Olaf Scholz vergangenes
Wochenende anrief und
fragte, ob sie nicht gemein-
sam für den SPD-Vorsitz
kandidieren sollten, muss-
te Klara Geywitz erst ein-
mal schlucken. „Wow, da-
ran hätte ich vorher im Traum nicht ge-
dacht“, gestand sie am Mittwochabend
bei einer SPD-Basisveranstaltung in Pots-
dam. Seit dem Telefonat ist das Leben der
43-jährigen Landtagsabgeordneten und
dreifachen Mutter völlig auf den Kopf
gestellt. Am Mittwochmittag saß sie noch
im Blitzlichtgewitter vor der Hauptstadt-
presse, am Nachmittag war sie in der
Elternsprechstunde an der Schule ihrer
Kinder, und am Abend schaut sie in die
erwartungsvollen Augen ihrer örtlichen
SPD-Mitglieder. „Ich wollte immer, dass
die Ostdeutschen besser gehört werden“,
sagt sie. „Und wenn man dann gefragt
wird, kann man nicht Nein sagen.“ Olaf
Scholz sitzt daneben, schmunzelt, nickt.
„Wir wollen alle, dass die SPD mutig ist“,
sagt er, „aber dann muss ich auch selbst
mutig sein.“
Das Duo Scholz/Geywitz gilt als Favo-
rit, aber ein Erfolg ist alles andere als
sicher. „Ich kandidiere hier ohne Netz“,
sagt Scholz. Im parteiinternen Wettstreit
um den SPD-Vorsitz bewerben sich noch
15 andere Genossen, davon sechs Paare
und drei Einzelkandidaten. In 23 Regio-
nalkonferenzen, die am 4. September in
Saarbrücken starten, werden sie sich der
SPD-Basis stellen, ehe dann die 440 000
Parteimitglieder ihr Votum abgeben. Die
SPD steht damit inhaltlich vor der Fra-
ge, ob sie das System Nahles fortsetzen
möchte – oder ob sie einen neuen Anfang
wagt. Nahles war temperamentvoll und
zuweilen aufbrausend, Scholz ist kühl
und kontrolliert. Dennoch wäre das Sys-
tem Scholz politisch und inhaltlich ein
klares „Weiter so“, schließlich will der
Vizekanzler und Bundesfinanzminister
die große Koalition bis zu ihrem regulären
Ende im Herbst 2021 fortsetzen.


Die Haltung zur GroKo ist entscheidend


Auch Klara Geywitz steht nicht für eine
Neuaufstellung der Partei in der Oppo-
sition. „Olaf Scholz und ich sind bereit,
Verantwortung zu übernehmen, und das
kann man nur in der Regierung“, sagte sie
am Mittwochmittag bei ihrer Vorstellung
vor der Bundespressekonferenz in Berlin.
Das weckt Widerstände. Große Teile
der SPD fordern vehement einen Rückzug


Warten auf grünes Licht
von der Basis der SPD. Finanzminister
Olaf Scholz, 61, und die Potsdamer
Landtagsabgeordnete Klara Geywitz, 43,
am Mittwoch in Berlin auf dem Weg
zur Bundespressekonferenz
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