Focus - 24.08.2019

(Brent) #1
PARTEIEN

Fotos: Bernd von Jutrczenka/dpa, dpa, imago images, INTERTOPICS, REUTERS, ddp images


FOCUS 35/2019 39

aus der GroKo. Doch welche Auswirkung
hat das für die Chancen von Scholz und
Geywitz? Trotz spürbarer Zurückhaltung
bezweifelt kaum einer in der SPD, dass
die beiden es bis in die Stichwahl schaf-
fen. Wenn kein Kandidatenpaar in der
ersten Runde mehr als 50 Prozent holt,
gibt es eine zweite Runde mit den beiden
Paaren, die den höchsten Stimmenan-
teil erhielten. Doch wer von den anderen
kann Scholz und Geywitz dann schlagen?
Das ist die Frage, die nun in der SPD dis-
kutiert wird.
Scholz ist in einer vergleichbaren Lage
wie der US-Präsidentschaftskandidat Joe
Biden. Der 76-jährige frühere Vizepräsi-
dent unter Barack Obama gilt als Favorit
in der Demokratischen Partei, aber auch
als Mann von gestern. Diesem Eindruck
muss und will Scholz entgegenwirken.
Der 61-Jährige gehört dem SPD-Bun-
desvorstand seit 18 Jahren an. Er war
Generalsekretär unter Gerhard Schröder,
Arbeitsminister in Angela Merkels (CDU)
erster großer Koalition, Hamburger Bür-
germeister und ist nun Finanzminister.
Scholz’ Verdienste sind unbestritten. „Ich
bin seit meinem 17. Lebensjahr Sozial-
demokrat, und ich nehme es persönlich,
ob es der SPD gut oder schlecht geht“,
betont er. Scholz kann regieren und füh-
ren. Aber ist er auch der richtige Mann,
um die SPD wieder aufzurichten und
aus der Krise zu führen? Und ist Klara
Geywitz am Ende nicht doch nur „das
dekorative Salatblatt an seiner Seite“, wie
es die frühere Unternehmensberaterin
selbstironisch formulierte?
Auf Bundesebene gilt die Landtagsab-
geordnete aus Potsdam zwar als „Genos-
sin Unbekannt“. Aber Geywitz sitzt schon
seit einigen Jahren im SPD-Vorstand, ist
gut vernetzt und gilt als schlagfertig und
selbstbewusst. Sie ist mit einem früheren
Journalisten und heutigen Politikberater
liiert, der als Partner einer großen Unter-
nehmensberatung in Berlin Lobbyarbeit
für die Wirtschaft leistet. Der Kontakt zu
Scholz kam über dessen Frau Britta Ernst,
die seit knapp zwei Jahren Bildungsmi-
nisterin in Potsdam ist und dort gemein-
sam mit Scholz wohnt.
Im SPD-internen Wettbewerb wird das
Team Scholz/Geywitz von mehreren Sei-
ten attackiert. Von links greifen Parteivize
Ralf Stegner und die Politikprofessorin
Gesine Schwan an, die zweimal für die
SPD als Bundespräsidentin kandidierte.
Die beiden Altgenossen symbolisieren
zwar ebenfalls keinen personellen Neu-

anfang. Aber sie sind sofort
bereit, die Partei aus der gro-
ßen Koalition zu führen und
deutlich nach links zu positi-
onieren. Gleiches gilt für die
Umweltpolitikerin Nina Scheer
und den Gesundheitsexperten
Karl Lauterbach, die ebenfalls
zusammen antreten. Sie wer-
ben ganz offen mit dem Ende
der GroKo und stehen für einen
Neuanfang mit rot-rot-grüner
Perspektive.

Geheimfavorit Pistorius
Es gibt allerdings viele in der
SPD, die zwar Scholz ableh-
nen, aber auch nicht nach ganz
links wollen. Denjenigen dürf-
ten die sächsische Integrations-
ministerin Petra Köpping und
der niedersächsische Innenmi-
nister Boris Pistorius ein Ange-
bot machen. Er gilt als einer,
der für Recht und Ordnung
steht, sie kümmert sich vor
allem um die Rückgewinnung
enttäuschter Ostbürger.
Das Willy-Brandt-Haus hat
in dieser Woche eine Umfra-
ge veröffentlicht, welche The-
men die Mitglieder am meisten
interessieren. Die Klimakrise
kommt mit knapp 30 Prozent
auf den ersten Platz, gefolgt
von der Spaltung der Gesell-
schaft und der Frage, wie die
SPD wieder ein eigenes Profil gewinnen
kann. Von den 46 Themen, die die Partei-
spitze als Antwortmöglichkeiten vorgege-
ben hatte, kam die Zukunft der großen
Koalition nur auf Platz 21.
Dennoch dürfte die GroKo-Frage auf
den Regionalkonferenzen ein Top-Thema
sein. Familienministerin Franziska Giffey,
die wegen des noch ungeklärten Plagi-
atsverdachts bei ihrer Promotion an einer
eigenen Kandidatur für den SPD-Vor-
sitz gehindert wurde, ist überzeugt, dass
die Sozialdemokraten vollends abstür-
zen, sollten sie die Regierung verlassen.
„Wenn sich die SPD-Mitglieder für eine
neue Spitze entscheiden, dann ist damit
deren Festlegung für oder gegen die gro-
ße Koalition verbunden“, sagt Giffey. Der
Parteitag sei gut beraten, dieser Fest-
legung zu folgen. „Sonst wäre die neue
Spitze gleich beschädigt.“
Am Ende müssen die Mitglieder ent-
scheiden, ob sich die Positionen der einzel-

nen Kandidaten besser aus der
Regierung oder der Opposition
umsetzen lassen. Politikwis-
senschaftler Wolfgang Merkel,
Mitglied der SPD-Grundwerte-
kommission, glaubt nicht mehr
an die Zukunft der GroKo. „Es
zahlt sich für die Sozialdemo-
kraten nicht aus zu regieren“,
sagt Merkel. „In der Regierung
schafft es die SPD nicht mehr,
Vertrauen zurückzuholen.“
Mitte Oktober will die Bun-
desregierung ihre Zwischen-
bilanz zur GroKo vorlegen. In
den Wochen danach wird der
SPD-Parteivorstand empfehlen,
die Regierungsarbeit fortzuset-
zen oder zu beenden. Der Par-
teitag kann dieser Empfehlung
zustimmen oder sie ablehnen.
Die Frage wird sein, wie sehr
die SPD-Delegierten die Gro-
Ko-Frage mit der Wahl der neu-
en Vorsitzenden verbinden.
Ob Scholz und Geywitz ge-
winnen, hängt auch von Juso-
Chef Kevin Kühnert ab. Eigent-
lich wollte der das Team von
Lars Klingbeil unterstützen.
Doch der Generalsekretär nahm
sich in dieser Woche selbst aus
dem Rennen. Im Scholz-La-
ger fragt man sich nun, was
Kühnert vorhat. Eine eigene
Kandidatur scheut der Juso-
Chef bislang. Belebt er nun
die „NoGroKo“-Kampagne mit einem
Scholz-Verhinderungsfeldzug? Wird er ein
anderes Team unterstützen? Ein Pakt mit
dem Teufel ist für beide Seiten jedenfalls
ausgeschlossen. Scholz und Kühnert, das
passt einfach nicht zusammen.
Die Gegner der großen Koalition hof-
fen, dass sich Union und SPD bei einem
Streitthema überwerfen, etwa bei der
Grundrente oder dem Klimaschutz. Man-
che hoffen, der Parteivorstand kommt
zu dem Ergebnis, die Gemeinsamkeiten
mit der Union seien schlichtweg aufge-
braucht. Dann könnte die SPD gehen,
ohne von den Bürgern als verantwor-
tungslos abgestraft zu werden.
Olaf Scholz fiele in diesem Szenario als
Vizekanzler die Aufgabe zu, die Koali-
tion aufzukündigen. Es wäre eine Ironie,
wenn er sich selbst den Stuhl vor die Tür
setzen müsste. n

MARC ETZOLD / JAN GARVERT / DANIEL GOFFART

Die Partnerwahl

Michael Roth und
Christina Kampmann

Karl Lauterbach und
Nina Scheer

Alexander Ahrens und
Simone Lange

Ralf Stegner und
Gesine Schwan

Dierk Hirschel und
Hilde Mattheis

Boris Pistorius und
Petra Köpping
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