Focus - 24.08.2019

(Brent) #1
WIRTSCHAFT

Fotos: Jason Hornick, Andree Kaiser/beide für FOCUS-Magazin, imago images, dpa (3)

48 FOCUS 35/2019

W


er als Ringer gegen
einen stärkeren
Gegner kämpft,
muss mit Schmer-
zen rechnen. „Der
andere wendet
Griffe an, gegen
die du einfach
machtlos bist“, sagt Ralph Sauer. „Du
kämpfst und hoffst, dass es nicht so arg
wehtut. Mehr ist nicht drin.“
Als Jugendlicher rang Sauer für den
ASV Renchen im badischen Ortenau-
kreis, oft mit Athleten, die ihm haushoch
überlegen waren. Vom


  1. September an hat es
    der 46-Jährige erneut mit
    mächtigen Kontrahenten
    zu tun, diesmal als Anwalt.
    In der Braunschweiger
    Stadthalle wird die Ver-
    handlung über die Mus-
    terfeststellungsklage des
    Verbraucherzentrale Bun-
    desverbands (vzbv) und
    des ADAC gegen Volks-
    wagen eröffnet.
    Sauer führt das Verfah-
    ren zusammen mit seinem
    Partner Ralf Stoll sowie
    der Düsseldorfer Kanz-
    lei Rogert & Ulbrich. Für
    ein Taschengeld von ins-
    gesamt 7530,80 Euro und
    um ihrer Berufsehre willen
    wollen die Anwälte raus-
    holen, was geht. Sie kämp-
    fen gegen VW, gegen die
    4500 Mitarbeiter zählende
    Konzern-Anwaltskanzlei Freshfields –
    und gegen andere Anwälte, die ihrer-
    seits Mandanten gegen VW einsammeln
    wollen.


Einmalig in der Rechtsgeschichte
Schon jetzt steht fest, dass das Verfahren
in die deutsche Rechtsgeschichte einge-
hen wird. Ein eigenes Gesetz, 2018 ver-
abschiedet, machte die Klage möglich.
Rund 427 000 Autobesitzer haben sich ins
Register eingetragen. Sie besitzen einen
Diesel-Pkw mit dem Motor EA 189, in
dem Volkswagen Schummel-Software ver-
baute. Hat die Musterfeststellungsklage

Erfolg, müssen sie danach ihren Anspruch
immer noch individuell durchsetzen. Das
fällt dann aber leichter als in anderen
Verfahren, versprechen vzbv und ADAC.
Verlieren die Verbände, gehen auch die
Ansprüche der Kunden im Klageregister
unter. Schließen sie einen Vergleich mit
Volkswagen, können sie es sich überlegen,
ob sie ihn annehmen oder nicht.
Für das Ansehen der deutschen Justiz
wird es darauf ankommen, ob es gelingt,
die Ansprüche von Kunden und VW fair
abzuwägen. Bisher sah es danach vor
deutschen Gerichten nicht immer aus.

„Was wir gemacht haben, war Betrug“,
gestand VW-Chef Herbert Diess im Juni.
Doch anders als in den Vereinigten Staa-
ten, wo VW Hunderttausende Kunden
rasch entschädigte, mussten sich Ver-
braucher in Deutschland seit Ende 2015
durch zermürbende Verfahren schlagen.
Viele kassierten Niederlagen. Wiederholt
bereiteten Richter den Boden für Ver-
gleiche. Das spart dem Gericht Zeit und
Mühe. Auch für Volkswagen kann so
ein Vergleich vorteilhaft sein: Der Kon-
zern zahlt, sobald sich eine Niederlage
im Prozess abzeichnet, eine bestimmte
Summe an den Kläger, vereinbart Still-

schweigen und vermeidet damit einen
Richterspruch, der andere Pkw-Besitzer
zur Klage ermuntern würde. Der Nach-
teil des Vergleichs: An den Gerichten bil-
det sich nur mit großer Verzögerung eine
einheitliche Meinung über Dieselgate.
Rechtssicherheit gibt es dann nicht.
Besuch in der Kanzlei von Ralph Sauer
im Gewerbegebiet von Lahr, südlich von
Offenburg. „Wir sind ein industrieller
Anwaltsbetrieb“, scherzt der Anwalt. Auf
Laufkundschaft ist Sauer definitiv nicht
aus. Er trägt Sneakers, T-Shirt und Jeans.
Auf dem Boden in seinem Büro stehen
Tee- und Kaffeekannen,
gegenüber dem Schreib-
tisch lehnen ein White-
board und Umzugskartons.
Davor steht ein Stativ mit
Mikrofon und Kamera für
die Videos auf dem You-
Tube-Kanal der Kanzlei.
Sauer spricht über seine
Arbeit, springt auf, holt
Pfefferminzbonbons, läuft
zurück zu seinem Rech-
ner, weil er ein Stück der
Punkrock-Band Scabies
vorspielen will, die er in
den neunziger Jahren ge-
managt hat. Dann ist er
zurück, lässt sich in einen
Bürostuhl fallen, der sich
ausgerechnet jetzt nicht in
eine aufrechte Position ver-
stellen lässt. Wider Willen
fläzt sich Sauer fürs Inter-
view in das Möbel.
Er hat alles Mögliche
schon ausprobiert. Als 13-jähriger, un-
sportlicher und leicht übergewichtiger
Schüler nahm ihn jemand zu einem Rin-
ger-Wettkampf mit. „Ich wollte sofort
mitmachen.“ Erst einmal musste er in
den Sommerferien sieben Kilo herunter-
hungern, dann begann das Training. „Ich
war ein schlechter Ringer und kassier-
te ständig Niederlagen. Aber ums Sie-
gen ging es nicht. Es ging darum, für
die Mannschaft einzustehen und einen
Ringkampf durchzuhalten. Der Sport hat
mir Disziplin beigebracht.“
Später fuhr Sauer Lkw, begann ein
Jurastudium. Nebenbei versuchte er

Für ein Honorar von insgesamt 7530,80 Euro vertreten zwei


Kanzleien die Interessen von 427 000 Diesel-Fahrern


Vorbild Amerika Star-Anwalt Michael Hausfeld verhandelte
erfolgreich VW-Klagen in den USA
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