Focus - 24.08.2019

(Brent) #1

Der schwarze Kanal


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Im Adenauer-Haus


misstraut


man grundsätzlich


Leuten, die sich


eine Meinung


erlauben, die nicht


mit den Gremien


abgestimmt ist


« Foto: Susanne Krauss


6 FOCUS 35/


eder Kanzler hält sich für unersetzlich. Alle,
die das Amt innehatten, gaben zu Protokoll,
nicht an ihrem Sessel zu kleben. Aber wenn
es so weit war, die Macht abzugeben, konnte
keiner so leicht loslassen.
Es liegt in der menschlichen Natur, dass es
einem schwerfällt, sich vorzustellen, dass ande-
re es genauso gut oder vielleicht sogar bes-
ser können als man selbst. Das gilt erst recht
für Menschen, die Machtmenschen sind. Wer
als Regierungschef an Selbstzweifeln leidet, wird
schwermütig.
Der einzige Kanzler, der von sich aus hinwarf, war
Willy Brandt. Allerdings geschah auch das nicht aus
freien Stücken, sondern war Folge
einer ins Behandlungsbedürftige sich
verfestigenden Ermüdung. Adenauer
brauchte vier Anläufe, um sich vom
Kanzleramt zu verabschieden. Kohl
hielt so lange an der Macht fest, bis
selbst die engsten Weggefährten ein
Ende herbeiwünschten.
Angela Merkel hat angekündigt, frei-
willig das Feld zu räumen, das zeichnet
sie aus. Aber auch sie hat einen Weg
gefunden, der Welt zu beweisen, dass
es ohne sie nicht einfach so weitergeht.
Sie hat, wenn man so will, eine beson-
ders raffinierte Form gewählt, die Deut-
schen an ihre Verdienste zu erinnern:
Sie hat eine Frau zur Nachfolgerin aus-
erkoren, von der sie genau weiß, dass
ihr die Voraussetzungen für die Kanz-
lerschaft fehlen.
Wenn es noch Zweifel an der Nicht-
eignung von Annegret Kramp-Karren-

bauer für das höchste Regierungsamt gab, dann hat sie
diese jetzt ausgeräumt. Zwei Wochen vor den Landtags-
wahlen in Sachsen und Brandenburg hat die Parteivor-
sitzende der CDU ausgerechnet den Mann gemaßregelt,
der wie kaum ein anderer in der Lage ist, CDU-Wähler
vom Wechsel zur AfD abzuhalten. Wo der ehemalige Ver-
fassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen im Osten
auftritt, ist der Saal voll. Aus Berliner Sicht ist das keine
Empfehlung, sondern ein Grund zum Argwohn.
Im Adenauer-Haus misstraut man grundsätzlich Leuten,
die sich eine Meinung erlauben, die nicht mit den
Gremien abgestimmt ist, weshalb die CDU-Vorsitzende
in einem Zeitungsinterview auch dem Gedanken nach-
ging, ob man Maaßen nicht am besten ganz aus der
Partei entfernen sollte. Es hieß dann anschließend, das
sei alles nicht so gemeint gewesen, aber diese Erklärung
ist Augenwischerei.

S


tellen Sie sich vor, Ihr Vorgesetzter würde auf
die Frage, ob es nicht an der Zeit sei, Sie zu
kündigen, antworten: Im Prinzip sei Ihr Unter-
nehmen ein liberales Haus, die rechtlichen
Hürden für eine Kündigung seien außerdem hoch.
Aber in Ihrem Fall müsse man leider feststellen, dass
der Bogen überspannt sei.
Ich bin sicher, Sie würden sich nicht beruhigt zurück-
lehnen und sagen: Na ja, mein Chef hat schließlich
betont, dass er grundsätzlich für die Meinungsfreiheit
ist. Wenn Sie Ihre fünf Sinne beisammenhaben, würden
Sie schleunigst einen Anwalt aufsu-
chen, um sich arbeitsrechtlich beraten
zu lassen.
„Welcher Typ Mensch setzt nach
dem Satz, in dem das Recht auf
Meinungsäußerung betont wird, frei-
willig einen Satz mit ,aber‘?“, hat der
„Welt am Sonntag“-Chefredakteur
Johannes Boie geschrieben. Meine
Antwort wäre: der Typ Mensch, der
eine Partei mit einer Behörde verwech-
selt. Annegret Kramp-Karrenbauer
leidet wie viele Menschen, die es in
der Politik sehr schnell sehr weit nach
oben getragen hat, an Überforderung.
Wer überfordert ist, neigt dazu, ab-
weichende Meinungen als Angriff zu
verstehen.
Ich dachte zwischenzeitlich, ich
hätte mich in der CDU-Vorsitzenden
getäuscht. Mir hat imponiert, wie sie
ihren Karnevalsscherz über Berliner

Eine Frau will


nach unten


JAN FLEISCHHAUER


Wenn es noch Zweifel an der Nichteignung
von Annegret Kramp-Karrenbauer
für das Kanzleramt gab, dann hat sie diese
jetzt ausgeräumt. Wer nicht klar redet,
der denkt in der Regel leider auch nicht klar
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