Focus - 24.08.2019

(Brent) #1
AUSLAND

Fotos: dpa, Getty Images (2)


FOCUS 35/2019 61

nale Finanzplatz Hongkong hat bereits
Schaden genommen.“
Dabei ist Hongkong – noch – von
unschätzbarem Wert für die Volksrepu-
blik: als viertgrößter Börsenplatz der Welt,
als Geldbeschaffungsmaschine und Tor
zur westlichen Finanzwelt. Während
Peking die Abwanderung von Kapital
mit strikten Ausfuhrkontrollen einzu-
dämmen versucht, ist der Stadtstaat mit
seinen internationalen Standards die beste
Clearingstelle für den Tausch von Yuan
in Dollar. Viele Kredite für chinesische
Firmen laufen über Hongkongs Banken,
die Staatsbanken wiederum haben sie-
ben Prozent ihrer Assets dort angelegt.
70 Prozent des an der Hongkonger Börse
generierten Kapitals kommt Unternehmen
auf dem Festland zugute, und auch die
meisten Direktinvestitionen nach China
fließen über die quirlige Metropole.
Die Freizügigkeit Hongkongs wissen
auch Funktionäre der Kommunistischen
Partei Chinas zu schätzen. So kaufte
Deng Jiagui, der Schwager von Staats-
präsident Xi Jinping, Luxusanwesen in
der Stadt. Freunde und Familienmitglie-
der des früheren Regierungschefs Wen
Jiabao unterhielten dort ein Firmenge-
flecht, über das offenbar Millionen ins

Ausland flossen. Einer der jüngsten Fälle:
Li Huanan, Vizeparteichef im benachbar-
ten, nur einen Katzensprung entfernten
Shenzhen, suchte für 70 Millionen Dol-
lar Geldwäscher, die sein Kapital außer
Landes schaffen sollten. Bevor er einen
fand, nahmen ihn allerdings die Antikor-
ruptionswächter der Partei fest.

Beliebte Offshore-Destination
Für reiche Festlandchinesen ist die Stadt
der perfekte Ort zur eleganten Geldver-
arbeitung. Laut einem Bericht
der China Merchants Bank
und der US-Unternehmens-
beratung Bain & Company
von 2015 erklärten 71 Prozent
von 2800 der wohlhabendsten
Privateigentümer Chinas die
Finanzmetropole zur beliebtes-
ten Offshore-Destination. Laut
Experte Collier heuern chinesi-
sche Unternehmen Geldkurie-
re an, die das Kapital durch die
Zollkontrollen schleusen – oft in
Schecks, die von Schattenban-
ken in Hongkong in Fremdde-
visen eingetauscht werden. Die
Chinesen – egal, ob mit legalen
oder illegalen Geschäften – hät-

ten also mit der Zerstörung des Finanzplat-
zes Hongkong viel zu verlieren.
Ausländische Unternehmen haben nach
Erkenntnissen der US-Handelskammer
Hongkong schon jetzt mit wirtschaftlichen
Folgen zu kämpfen, zum Beispiel mit der
Unterbrechung von Lieferketten. „Wir for-
dern die Regierung in Hongkong dazu auf,
weiteren Schaden abzuwenden“, sagt Tara
Joseph, Präsidentin der Handelskammer.
Wie dieser Drahtseilakt jedoch aussehen
soll, bleibt fraglich: Einerseits profitiert die
internationale Business-Community von
Rechtsstaat und Pressefreiheit, anderer-
seits möchte sie die Zentralregierung in
Peking sanftmütig stimmen.
„Die wahre Frage ist: Werden multinatio-
nale Konzerne anfangen, ihre Zentralen aus
Hongkong abzuziehen?“, sagt Collier. 1500
von ihnen haben seit 1997 ihre asiatischen
Hauptquartiere dort. Viele Konglomerate
würden auf das dreieinhalb Flugstunden
südlich liegende Singapur schielen, andere
nach Südkoreas Hauptstadt Seoul. Bislang
sind es nur Gerüchte: Aber auch
Chinesen sind offenbar schon
dabei, Vermögen abzuziehen.
Gerade kaufte Li Ka-shing,
reichster Tycoon Hongkongs, die
britische Pub-Kette und Braue-
rei Greene King für 5,6 Milliar-
den Dollar. Hongkongs nervöse
Geschäftselite wertet das als
Hinweis, dass der schlaue Immo-
bilienfuchs mit dem Schlimms-
ten rechnet. Dabei hatte er vor
ein paar Tagen noch an die
Demonstranten appelliert: „Im
Namen der Liebe, wendet euch
ab vom Zorn.“n

G. DOMETEIT / F. KRETSCHMER

Brutale Abwehr Spezialkräfte der Polizei feuern
Tränengas auf die Demonstranten

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Wert der größten Börsen
in Billionen US-Dollar
(Stand: 8.8.2019)

Quellen: Bloomberg,
World Federation of Exchanges

Wert der größten
Börsen weltweit
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