Focus - 24.08.2019

KULTUR

Illustrationen: KAFI, Matthias Seifarth/FOCUS-Magazin

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lich doch Professor. Zeitgenössisches liest
er wenig, er würde gern, doch es gibt so
wenig Gutes. Auch er war leidenschaft-
licher Tennisspieler, der Sport hat für
ihn etwas Meditatives. Weil es in New
York aber fast unmöglich ist, einen Ten-
nisplatz zu finden, und obendrein das
Knie streikte, hat er aufgehört. „Ich ver-
misse es schrecklich. Jetzt gehe ich ins
Fitness-Studio.“

Schreiben als Reise ins Ungewisse

Anfang des Jahres sorgte Aciman für eine
kleine Sensation, als bekannt wurde, dass
er an einer Fortsetzung von „Call Me by
Your Name“ schreibt. Tatsächlich hat er
daran gearbeitet, seit das erste Buch fer-
tig war. Er fand, dass viele Dinge unge-
sagt geblieben sind. „Daran wollte ich
anknüpfen. Bloß: Es funktionierte nicht.“
Irgendwann ging es doch, „Find Me“
erscheint Ende Oktober in den USA und
im nächsten Herbst auf Deutsch. Es zeigt
Elio und Oliver 20 Jahre nach ihrer ers-
ten Begegnung. Der eine lebt dann als
klassischer Pianist in Paris, der andere
ist Familienvater und Literaturprofessor
in Neuengland. Man darf davon ausge-
hen, dass sich ihre Wege wieder kreuzen.
Dass er mit „Call Me by Your Name“
einen Nerv getroffen hat, mag auch am
Humanismus der Geschichte liegen.
Bei Aciman gibt es keine Rednecks und
Highschool-Schläger, die dem Männer-
paar an den Kragen wollen. „Nicht jede
schwule Geschichte muss in Gewalt und
Blutvergießen enden“, sagt er.
Niemand hat in seinen Büchern ein
Prob lem mit Homosexualität. Sie spielt
einfach keine Rolle. Mal verliebt sich
jemand in einen Mann, dann in eine Frau.
Liebe ist Liebe, auch wenn Aciman das
Wort nie in den Mund nimmt. Er hasst es,
Dinge zu definieren und festzuzurren.
Im Zweifel, findet er, besitzt man so
viele Identitäten, wie man Menschen
kennt, weil man mit jedem ein anderer
ist. „Schwul, lesbisch, bisexuell, das sind
doch bloß Etiketten. Darüber sollen ande-
re schreiben.“ Aciman selbst ist seit fast
30 Jahren verheiratet und hat drei Söhne.
Die Geschichte um Elio und Oliver ist
für ihn endlich abgeschlossen. Er arbei-
tet längst an einer neuen. Wohin sie ihn
führt, vermag er noch nicht zu sagen.
Es ist ein bisschen wie in der Liebe: Die
Ungewissheit gefällt ihm und macht ihm
doch auch Angst.n

FRAUKE FENTLOH

Glück ist eine komplizierte Sache. Man

kann es nicht erzwingen. Nichts macht so

zuverlässig unglücklich wie die perma-

nente Jagd nach dem Glück. „Ja, renn nur

nach dem Glück“, singt der Philosoph

Bertolt Brecht, „doch renne nicht zu sehr,

denn alle rennen nach dem Glück. Das

Glück rennt hinterher.“

Besser also, ab und zu stehen zu

bleiben, damit das Glück aufholen

kann. Besser, nicht immer in sich hinein-

zuhorchen, ob man jetzt, in diesem

Moment, tatsächlich glücklich ist. Son-

dern sich kopfüber in die Welt stürzen,

selbst wenn sie an dem Ort, an dem man

gerade steht, scheinbar banal wirkt. Je

leidenschaftlicher man sie anschaut,

desto interessanter schaut sie zurück.

Der Neurologe Oliver Sacks, der Welt-

bestseller schrieb, zum Beispiel über den

„Mann, der seine Frau mit einem Hut ver-

wechselte“, hat das so gemacht. Er war

kein Pflanzenfachmann und erst recht

keiner für Farne. Farne spielten, offen

gesagt, in seinem Leben keine zentrale

Rolle. Aber als er eine Pause brauchte

und die Gelegenheit hatte, mit Farnfans

(so etwas gibt es) nach Mexiko zu reisen,

um seltene Farne zu sehen, schloss er

sich ihnen an und schrieb das Buch „Die

feine New Yorker Farngesellschaft“ (Lie-

beskind, 20 Euro). Er ließ sich anstecken

von der Begeisterung der Farnverehrer,

vertiefte sich in die Farnforschung und

entdeckte die Schönheit dieser uralten,

eigentlich unscheinbaren Gewächse –

bis plötzlich irgendwo im mexikanischen

Dschungel das Glück still und leise neben

ihm stand.

Der Schwede Gustaf Eisen hielt es im

19. Jahrhundert ebenso. Er war ein
    Mann mit den seltsamsten
    Passionen. Er startete als der
    führende Regenwurmspezia-
    list seiner Zeit. Sogar Charles
    Darwin bewunderte ihn für die
    Gründlichkeit seiner Arbeit. Nachdem er
    dann sein Erbe verspekuliert hatte, revo-
    lutionierte er in Kalifornien kurzerhand
    die Rosinen-Industrie und verdiente so
    ein neues Vermögen. Danach eröffnete er
    ein Fotostudio in San Francisco. Doch als
    sein Atelier beim großen Erdbeben 1906
    abbrannte, wurde er Kunsthistoriker
    und schrieb ein Standardwerk über die
    Geschichte der Silberkelche und den
    Heiligen Gral, den er bei einem Trödler in
    New York entdeckt zu haben glaubte. Bei
    all dem rannte das Glück ihm hinterher,
    schreibt sein Biograf Fredrik Sjöberg in
    „Der Rosinenkönig“ (Galiani, 18,99 Euro).
    Und ab und zu ließ er sich einholen.

Was Sie schon immer über

Regenwürmer wissen wollten

FOCUS-Autor Uwe Wittstock

über seltsame Leidenschaften

und die gute Idee, sich beim

Wettrennen einholen zu lassen

Buch & Welt

Glückssucher

Oliver Sacks und

Fredrik Sjöberg

schreiben über die

Begeisterung für die

Kuriositäten der Welt

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