Die Welt am Sonntag Kompakt - 01.09.2019

(Brent) #1

12 DEUTSCHLAND & DIE WELT WELT AM SONNTAG NR.35 1.SEPTEMBER


Für die heute elfjährige Ruth war
der Schulwechsel ein Segen. Drei Jah-
re lang besuchte sie eine staatliche
Grundschule – und war eine unglückli-
che Schülerin. Dann meldeten ihre El-
tern sie auf einer Waldorfschule in Ber-
lin an, und von einem Tag auf den ande-lin an, und von einem Tag auf den ande-
ren wurde alles leicht. „Plötzlich fühltren wurde alles leicht. „Plötzlich fühlt
sie sich wie ein Fisch im Wasser, und aufsie sich wie ein Fisch im Wasser, und auf
einmal klappt es mit dem Lernen“, sagt
Ruths Mutter Hannah Grethlein, die in
leitender Funktion bei einem großen
Bildungsträger arbeitet. Der ganzheitli-
che Ansatz der Waldorfschule, die Be-
wegung, der musische und künstleri-
sche Unterricht täten ihrer Tochter gut,
die Lehrer sähen jedes einzelne Kind in
seiner spezifischen Lage, die Schüler
gingen bemerkenswert freundlich mit-
einander um, die meisten Mit-Eltern
seien interessiert und engagiert, das Es-
sen habe Bio-Qualität.

VON SUSANNE GASCHKE

Eine bessere Leumundszeugin könn-
ten sich die Waldorfschulen kaum wün-
schen. Überhaupt erlebt diese Pädago-
gik national wie international einen
Boom. Immer mehr Eltern sind unzu-
frieden mit den staatlichen Schulen, se-
hen den allgegenwärtigen Leistungs-
druck mit Skepsis oder möchten ihren
Kindern gerade im digitalen Zeitalter so
lange wie möglich einen analogen und
sinnlichen Zugang zur Welt bewahren.
Selbst im kalifornischen Silicon Valley
erfreut sich die „Waldorf School oft the
Peninsula“ eines großen Zulaufs von
Kindern der dortigen Tech-Manager.
In Deutschland gibt es ungefähr 600
Waldorfkindergärten und 245 Waldorf-
schulen. Rund 88.000 Schülerinnen und
Schüler werden nach den GrundsätzenSchüler werden nach den Grundsätzen
des Anthroposophen Rudolf Steiner un-des Anthroposophen Rudolf Steiner un-
terrichtet. Die Tendenz ist steigend.
Genau vor 100 Jahren, am 7. Septem-
ber 1919, gründete Steiner die erste Wal-
dorfschule für die Kinder der Arbeiter
in der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik
in Stuttgart. Das Jubiläum wird in die-
sen Wochen weltweit gefeiert. Der mit
einiger Mühe promovierte Philosoph
Steiner scheint ein recht wildes Leben
gelebt zu haben, in dem Alkohol und
Frauen keine ganz kleine Rolle spielten.
Offenbar war er auch ein mitreißender
Redner – selbst wenn seine Zuhörer
nicht immer ganz sicher waren, was er
ihnen eigentlich mitgeteilt hatte. Sein
veröffentlichtes Werk umfasst 42 Bän-
de, 5000 Vorträge.
Daraus werden heute noch Schlüsse
für die Unterrichtspraxis an Waldorf-
schulen gezogen. Steiners Anthroposo-
phie ist eine Mischung aus religiösen
und weltanschaulichen Elementen, die
in ihrer Wildheit dem Charakter ihres
Autors nicht nachsteht: Er kombinierte
Christentum, Buddhismus, „Theoso-
phie“ (übersinnliche Welter-

kenntnis), Freimaurertum, Goetheskenntnis), Freimaurertum, Goethes
Farbenlehre und Pantheismus (Gott ist
eins mit Natur und Kosmos). Rudolf
Steiner war nicht der schlimmste Ras-
sist und Antisemit seiner Zeit, aber bei-
de Haltungen finden sich auch in seinen
Schriften. Kritiker sehen in Steiners
Lehre ein esoterisches Glaubenssystem,
das von den Schulen nur widerwillig of-
fengelegt werde: „Nach außen sieht al-
les rosig und toll aus“, sagt Oliver Rau-
tenberg, der einen gut recherchierten,
von vielen Anthroposophen allerdings
innig gehassten Blog zum Thema
schreibt: „Tatsächlich ist diese Ideolo-
gie aber durchdrungen von magischem
Denken, dem Glauben an Karma und
Reinkarnation und einer komplett rück-
wärtsgewandten Technikfeindlichkeit.“

SCHLECHTES KARMA Für Rauten-
berg hat die Waldorferziehung autoritä-
re Züge. Einwände gegen die Steiner-
sche Weltsicht würden von der ver-
schworenen Gemeinschaft der Waldorf-

lehrer häufig abgetan: Schließlichlehrer häufig abgetan: Schließlich
stammten sie von Nicht-Eingeweihten,
denen die Hellsichtigkeit der Anthropo-
sophen fehle. „Und es ist schon fatal für
ein Kind, wenn sein Karma oder eines
seiner früheren Leben es dazu bestim-
men, in der Schule gemobbt zu wer-
den.“ Kinder oder Eltern, die sich über
Mobbing beschwerten, würden oft als
Störenfriede behandelt.
Maria Krenek ist Pressesprecherin ei-
ner großen Stiftung – und erfahrene
Waldorfmutter. Sie hat drei Kinder
durch die Schule gebracht, zunächst in
Frankfurt. Doch dann verschlug es die
Familie nach München. „An der dorti-
gen Waldorfschule hieß es auf einmal:
Können Sie sich denn überhaupt genug
um Ihre Kinder kümmern?“ Mit der Be-
rufstätigkeit gerade von Frauen haben
manche Anthroposophen offenbar im-
mer noch Schwierigkeiten; Geschlech-
terrollen fassen sie sehr traditionell auf.
Krenek schickte ihre beiden älteren
Kinder auf ein Regelgymnasium.

Was auch nicht einfach war.
Denn das staatliche Schulwesen hat
extreme Vorbehalte gegenüber der
Leistungsfähigkeit von Waldorfschü-
lern. „Eine ganze Reihe von Gymnasial-
direktoren wollte uns auf die Haupt-
schule abschieben“, sagt Krenek-Toch-
ter Anna Lulu. Am Ende legte die junge
Frau ein bayerisches Einser-Abitur hin
und studiert heute Medizin. „In den Fä-
chern Mathematik, Physik oder Chemie
hatte ich allerdings unglaublich viel
nachzuholen in der normalen Oberstu-
fe“, sagt sie. „Aber mir hat der an-
spruchsvollere Mathematikunterricht
am Gymnasium dann tatsächlich viel
mehr Spaß gemacht.“
Auch Hannah Grethlein meint, dass
die Waldorfschule ideal sei für ihredie Waldorfschule ideal sei für ihre
Ruth, aber absolut nichts für „voran-Ruth, aber absolut nichts für „voran-
stürmende“ Kinder wie ihre jüngerestürmende“ Kinder wie ihre jüngere
Tochter – „die würde da wahnsinnig
werden“. Es komme eben wirklich auf
das einzelne Kind an. Und auf die ein-
zelne Schule.
Der Kommunikationsvorstand des
Bundes der Freien Waldorfschulen in
Deutschland, Henning Kullak-Ublick,
selbst 26 Jahre lang Klassenlehrer, gibt
zu, dass die heterogene Zusammenset-
zung der Klassen eine pädagogische He-
rausforderung darstelle. Deshalb bemü-
he man sich fortlaufend um die Quali-
tätsentwicklung, Evaluation und Mo-
dernisierung der Waldorfpraxis: bei der
Lehrerausbildung, beim Klassenlehrer-
prinzip, bei der methodischen Vielfalt,
bei der Digitalisierung.
Staatliche Schulen hätten zudem viel
von Waldorf übernommen: zuerst die
Koedukation, später das Prinzip der Ge-
meinschaftsschule oder den Fremd-
sprachenunterricht von Anfang an; teil-
weise sogar den Verzicht auf Noten und
aufs Sitzenbleiben. Hinzu kämen die
Kombination von Unterricht und kör-
perlicher Aktivität im „bewegten Klas-
senzimmer“, Theater-, Musik- und
Kunstprojekte, Gartenbau, handwerkli-
cher Unterricht, Praktika.
Von „Karma“ und „Reinkarnation“
mag Kullak-Ublick sich nicht distanzie-
ren, betont aber, dass es sich dabei nicht
um dogmatische Setzungen handele,
sondern um Aspekte der Anthroposo-
phie, mit denen zu arbeiten den Leh-phie, mit denen zu arbeiten den Leh-
rern völlig freigestellt sei. Für ihn per-rern völlig freigestellt sei. Für ihn per-
sönlich seien das Hilfen, die wunderba-sönlich seien das Hilfen, die wunderba-
re Einzigartigkeit jedes Kindes wirklich
ernst zu nehmen. Geht es um die Ideo-
logie, dann lautet eine typische Aussage
von Waldorfvertretern, dass sich Eltern
mit der anthroposophischen Weltan-
schauung und den Originalquellen ja
gar nicht zu beschäftigen bräuchten,
der Schulalltag spreche für sich. Aber
geht das?
Kann man beispielsweise die durch-
aus aufklärerisch und emanzipatorisch
konzipierte Erziehung zur „Medien-
mündigkeit“ beim Wort nehmen, wenn
in dem Lehrer- und Elternmagazin „Er-
ziehungskunst“ Artikel erscheinen, in
denen ganz ernsthaft und ohne kriti-
sche Kommentierung von den Geistern,
sogenannten „Naturwesen“ die Rede
ist, die in technischen Geräten leben, in
Computern, Autos, Waschmaschinen?
Und die es günstig zu stimmen gilt, da-
mit diese Geräte funktionieren? In den
kommenden 100 Jahren hat die Rudolf-
Steiner-Pädagogik sicher noch eini-
ges zu klären.

Oft verspottet
Eine Waldorf-
schülerin bei
einer Eurythmie-
Aufführung

DDP IMAGES

/ STEFAN ZIESE

1 919 begann der Anthroposoph Rudolf


Steiner, eine neue Pädagogik umzusetzen.


Sein Erziehungsmodell boomt noch heute –


aller Kritik zum Trotz


1 00 Jahre


Waldorf


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und weltanschaulichen Elementen, die

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