Die Welt am Sonntag Kompakt - 01.09.2019

(Brent) #1

WELT AM SONNTAG NR.35 1.SEPTEMBER2019 DEUTSCHLAND & DIE WELT 17


obbyismus lehnten die Grü-
nen 1993 in ihren „Politi-
schen Grundsätzen“ als „die
Verquickung parlamentari-
scher Vertretungen mit öko-
nomischen Sonderinteressen“ ab. Da
dominierte noch das Image vom Lobby-
isten als geheimen Strippenzieher der
Politik, der Abgeordneten bei Treffen in
Hinterzimmern Gesetzestexte im Sinne
der Profitinteressen ihrer Auftraggeber
unterzujubeln versuchte.

VON ANSGAR GRAW

Seitdem hat sich das Verhältnis der
Grünen zu den (laut LobbyControl al-
lein in Berlin rund 6000) Lobbyisten
entspannt. Im aktuellen Grundsatzpro-
gramm von 2002 wird der Lobbyismus
der Wirtschaft als Tatsache akzeptiert
und in ähnlicher Form für zivilgesell-
schaftliche Verbände gefordert: Ge-
werkschaften, NGOs und Bürger-
initiativen müssten in der Politik „eine
ebenso große Rolle spielen wie es die
Lobbyisten der Wirtschaftsverbände
heute schon tun“.
Doch der Blick auf Lobbyisten, de-
ren Expertise für viele Gesetzesent-
würfe oft unverzichtbar ist, bleibt von
Misstrauen geprägt. Im Zwischenbe-
richt zum neuen Grundsatzprogramm,
das die Grünen 2020 verabschieden
wollen, tauchen Lobbyisten oder Lob-
byismus fünfmal auf, jedes Mal in kri-
tischem Kontext. Der Begriff wird ver-
bunden mit „verdeckter, einseitiger
Einflussnahme“, mit „ökonomisch gut
ausgestatteten Interessen“, mit der
„großen wirtschaftlichen Macht“ von
„wenigen großen Banken und Unter-
nehmen“.
Die Grünen fordern nach dem Vor-
bild der USA, Kanadas, Irlands, Öster-
reichs oder Russlands ein verbindliches
Lobbyregister und einen „legislativen
Fußabdruck“, damit erkennbar wird,
wer wann an einem Gesetz gearbeitet
hat. Zudem wollen sie eine dreijährige
Karenzzeit für Regierungspolitiker, die
in die Wirtschaft wechseln wollen. Al-
lerdings sind auch etliche ehemalige
Grünen-Politiker zu Lobbyisten gewor-
den – und das nicht nur für Unterneh-
men der erneuerbaren Energien, son-
dern auch für Autos oder Glyphosat.

JOSCHKA FISCHER Straßenkämpfer,
Taxifahrer, Außenminister – und jetzt
Lobbyist. Joschka Fischer, Alphatier der
Grünen bis 2005, hat der Politik längst
den Rücken gekehrt. Als Chef von
Joschka Fischer & Company berät er
Unternehmen, die manche seiner Par-
teifreunde gruseln lassen. JF&C-Kun-
den sind RWE (Hambi stirbt!), BMW
(Verbrennungsmotoren!), Siemens
(Kernkraft!), Rewe (zu wenig Bio!). Der
71-Jährige ist zudem Lobbyist für die ka-
nadische Firma Tilray, weltweit führen-
der Cannabis-Produzent. Fischers Fir-
ma residiert am Berliner Gendarmen-
markt und hat ein Herrenquartett an
der Spitze, darunter als Co-Geschäfts-
führer Dietmar Huber, von 1994 bis
2005 Pressesprecher der Grünen-Bun-
destagsfraktion.

CHRISTINE SCHEELWWWer über „Ein-er über „Ein-
sichten auf dem Weg über die Alpen“
schreibt, hat Höhen und Tiefen erlebt.
Christine Scheel, 62, ist Autorin des Bu-
ches „Weitblick“ mit diesem Untertitel.
Die langjährige Bundestagsabgeordnete

(1994–2012) und
ehemalige Vize-
fraktionschefin
der Grünen ist
nach einem In-
termezzo im
Vorstand des
Energieversor-
gers HEAG Süd-
hessische Ener-
gie AG (2011–12) inzwischen selbststän-
dige Wirtschaftsberaterin. Die Aschaf-
fenburgerin wollte HEAG zu einem „na-
tionalen Ökoenergieanbieter“ umbau-
en. Dass aber Darmstadts Oberbürger-
meister Jochen Partsch, übrigens Par-
teifreund von Scheel, 40 Prozent der
Unternehmensanteile in kommunalen
Besitz zurückkaufen wollte, führte zum
Bruch. Jetzt ist Scheel Kuratoriumsvor-
sitzende der Evangelischen Akademie
Tutzing.

GUNDA RÖSTELIm Jahr 2000 wech-
selte die Ex-Grünen-Vorsitzende und
Ex-Bundestagsabgeordnete Gunda Rös-
tel als Managerin für Unternehmens-
strategie zur Gelsenwasser AG. Die
einstige Grüne Jutta Ditfurth (ausgetre-
ten: 1991) wetterte über den „Verrat an
den Idealen der
Ökopartei“.
Denn das Was-
serunternehmen
gehörte zu E.on,
das auch Atom-
kraftwerke be-
trieb. Das sei für
sie „kein ideolo-
gisches Thema“,
erklärte Röstel.
2004 wurde sie
kaufmännische Geschäftsführerin der
Stadtentwässerung Dresden GmbH und
2011 für das Land Baden-Württemberg
in den Aufsichtsrat des drittgrößten
deutschen Nuklearenergiekonzerns ge-
wählt.

HANS-JOSEF FELLDer Unterfranke,
67, lebt wie ein Bilderbuch-Grüner: in
einem nach ökologischen Kriterien er-
bauten Holzhaus mit Grasdach und
Molchen im Gartenteich. Der dreifache
Vater wurde in
der Öffentlich-
keit wenig wahr-
genommen, ge-
hörte aber zu
den effizientes-
ten Umweltpoli-
tikern der Grü-
nen. Als MdB
von 1998 bis 2013
war er unter an-
derem Sprecher für Energiepolitik und
entwarf das Erneuerbare-Energien-Ge-
setz. Schon als MdB war „Mr. Sunshine“
Vizepräsident von Eurosolar, einem
(nicht kommerziellen) Verein zur För-
derung erneuerbarer Energien. Er saß
in neun Beiräten von Unternehmen
oder ihren Interessenverbänden, aber
ohne Vergütung. „Mr. Beirat“ („Die
Zeit“) sieht sich nicht als Lobbyist. Sein
Einsatz für Erneuerbare sei „politisch,
wissenschaftlich“.

KERSTIN ANDREAE„Lobbyarbeit ist
nichts Anrüchiges“, sagt Kerstin An-
dreae, 50, seit 2002 Grünen-Bundes-
tagsabgeordnete und ab 1. November
Hauptgeschäftsführerin des Bundesver-
bandes der Energie- und Wasserwirt-
schaft (BDEW). Die Diplom-Volkswir-

tin, die damit künftig als Lobbyistin die
Interessen auch von RWE, E.on oder
Vattenfall vertritt, gehört zum markt-
wirtschaftlichen Flügel der Fraktion.
2013 scheiterte sie bei ihrer Kandidatur
zur Fraktions-
vorsitzenden.
Der Seitenwech-
sel der Noch-Po-
litikerin aus dem
mittleren
Schwarzwald
wurde von vie-
len Parteifreun-
den begrüßt. Der
grüne Europa-
abgeordnete Daniel Freund hingegen
twitterte, gerade Grüne sollten „eine
Karenzzeit“ einhalten, „bevor man zu
Organisationen wechselt, die man vor-
her reguliert hat“.

MARGARETA WOLF An „Volksver-
dummung“ grenze die Behauptung, eine
Industrienation wie Deutschland könne
nur aus erneuerbaren Energien ihre
Energieversorgung sicherstellen. Das
erklärte Margareta Wolf, Grünen-Mit-
glied seit 1980,
zu ihrem Partei-
austritt 2008.
Und es sei op-
portunistisch,
Kohle abzuleh-
nen, „weil sie
klimaschädlich
ist, und gleich-
zeitig die Kern-
kraft abschalten
zu wollen“. Die Sauerländerin, 62, saß
1984 im Grünen-Bundesvorstand, war
von 1994 bis 2008 Bundestagsabgeord-
nete und von 2001 bis 2005 parlamenta-
rische Staatssekretärin. Hintergrund
des Austritts: Wolf war als Senior Advi-
sor zur Beratungsfirma Deekeling
Arndt gewechselt, die auch für die
Atomindustrie Lobbyismus betreibt.
Parteifreunde forderten ihren Raus-
wurf. Dem kam Wolf zuvor.

MARIANNE TRITZ Die Tabaklobby ha-
be in Deutschland einen besonders gro-
ßen Einfluss, darum gebe es anders als
in der übrigen EU hierzulande keine
Verbote für Tabakaußenwerbung. Das
ist eine gängige Lesart der Grünen. Und
darum war es eine gewaltige Überra-
schung, als Marianne Tritz, 55, von 2002
bis 2005 Bundestagsabgeordnete der
Grünen und später Mitarbeiterin von
Fraktionschef Fritz Kuhn, 2008 als Ge-
schäftsführerin zum neu gegründeten
Deutschen Ziga-
rettenverband
(DZV) wechsel-
te. Zur Friedens-
pfeife mit der
Branche taugte
das Intermezzo
nicht: Trotz ei-
nes noch bis
April 2013 lau-
fenden Vertrags
trennte sich der DZV im Oktober 2012
von Tritz. Im März 2013 wurde die Nie-
dersächsin Chefin des ehrwürdigen Ge-
samtverbandes Dämmstoffindustrie,
der jedoch 2015 in Liquidation ging.

MATTHIAS BERNINGER 2 3 Jahre alt
war Matthias Berninger, als er 1994 über
die Landesliste Hessen der bis dahin
jüngste Bundestagsabgeordnete wurde.
Und kurz vor seinem 30. Geburtstag

brachte es der Fischer-Zögling zum
jüngsten Parlamentarischen Staatsse-
kretär im Bundesministerium für Er-
nährung und
Landwirtschaft.
Der studierte
Gymnasiallehrer
war gewisserma-
ßen für gesunde
Ernährung zu-
ständig und
brutzelte im
Wahlkampf 2005
Möhrenpuffer in
der Kasseler Markthalle. Aber Rot-Grün
wurde abgelöst, Berninger sagte der Po-
litik adé und ging – zum Schokoriegel-
Hersteller Mars. Eine Provokation? Die
Empörung kam zu früh: Heute ist Ber-
ninger Cheflobbyist des Chemiekon-
zerns Bayer und verteidigt das von sei-
nen alten Freunden als „Pflanzenkiller“
bezeichnete Insektizid Glyphosat. Zum
Empfang im Juni lud ihn die Fraktion
trotzdem ein.

REZZO SCHLAUCH Als Rezzo
Schlauch 70 wurde, hatte sein Organisa-
tionsteam eine originelle Idee: Gelade-
ne Vertreter von Unternehmen oder
Verbänden wurden per Anschreiben um
eine „finanzielle Zuwendung“ gebeten
und bekamen dafür „ausgewählte und
aussagewirksame Fotos des Abends“, zu
dem Spitzenpolitiker geladen waren, in
Aussicht gestellt.
Als der „Spiegel“
darüber 2017 be-
richtete, wurde
versichert, der
langjährige grü-
ne Bundestags-
abgeordnete,
Fraktionschef
und parlamenta-
rische Wirt-
schaftsstaatssekretär habe davon nichts
gewusst. Der schwäbische Anwalt war
2005 nach seinem Abschied von der Po-
litik unter anderem in den Beirat des
Kernkraftwerksbetreibers EnBW gegan-
gen, außerdem in den Vorstand einer
Berateragentur für Unternehmenskom-
munikation. Nichts davon ist ehrenrüh-
rig – aber für einen Ex-Spitzengrünen
bemerkenswert.

SIMONE PETER Noch im August 2017
beklagte Simone Peter die „unerträgli-
che Verfilzung zwischen Politik und
Wirtschaft“ und forderte die Auswei-
tung der Karenz-
zeit für in die
Wirtschaft
wechselnde Re-
gierungsmitglie-
der von einem
auf drei Jahre.
Das betraf sie als
oppositionelle
Grünen-Vorsit-
zende nicht. Für
das Parteiamt trat sie nicht mehr an,
sondern wurde im März 2018 Präsiden-
tin des Bundesverbands Erneuerbare
Energien (BEE). „Ehrenamtlich“, wie
betont wurde. Seit dem Frühjahr erhält
die saarländische Ex-Umweltministerin
allerdings eine „faire“ Bezahlung, „weit
von üblichen Lobbyistengehältern ent-
fernt“. Peter, 53, sagt, so setze sie ihr
„Engagement für die Energiewende
fort“, räumt aber ein: „Lobbyismus ist
Lobbyismus, unabhängig vom Wirt-
schaftszweig.“

L


RELEASED BY "What's News" vk.com/wsnws TELEGRAM: t.me/whatsnws

RELEASED

sichten auf dem Weg über die Alpen“

RELEASED

sichten auf dem Weg über die Alpen“
schreibt, hat Höhen und Tiefen erlebt.
RELEASED

schreibt, hat Höhen und Tiefen erlebt.

BY

CHRISTINE SCHEEL
BY

CHRISTINE SCHEEL
sichten auf dem Weg über die Alpen“sichten auf dem Weg über die Alpen“BY

"What's


News"

schreibt, hat Höhen und Tiefen erlebt.
News"

schreibt, hat Höhen und Tiefen erlebt.
Christine Scheel, 62, ist Autorin des Bu-Christine Scheel, 62, ist Autorin des Bu-News"

vk.com/wsnws

CHRISTINE SCHEEL

vk.com/wsnws

CHRISTINE SCHEEL
sichten auf dem Weg über die Alpen“
vk.com/wsnws

sichten auf dem Weg über die Alpen“
schreibt, hat Höhen und Tiefen erlebt.schreibt, hat Höhen und Tiefen erlebt.vk.com/wsnws

TELEGRAM:

Christine Scheel, 62, ist Autorin des Bu-

TELEGRAM:

Christine Scheel, 62, ist Autorin des Bu-
ches „Weitblick“ mit diesem Untertitel.
TELEGRAM:

ches „Weitblick“ mit diesem Untertitel.

t.me/whatsnws

CHRISTINE SCHEEL

t.me/whatsnws

CHRISTINE SCHEEL
sichten auf dem Weg über die Alpen“

t.me/whatsnws

sichten auf dem Weg über die Alpen“
schreibt, hat Höhen und Tiefen erlebt.
t.me/whatsnws

schreibt, hat Höhen und Tiefen erlebt.
Christine Scheel, 62, ist Autorin des Bu-Christine Scheel, 62, ist Autorin des Bu-t.me/whatsnws
Free download pdf