Die Welt am Sonntag Kompakt - 01.09.2019

(Brent) #1

WIRTSCHAFT & FINANZEN


kassiert. Eigentlich war es mal anders
herum.
Nicht nur die Sparer leiden darunter,
dass mit dem Negativzins die Finanz-
welt auf den Kopf gestellt ist. Auch Ban-
ker, Unternehmer, Händler müssen mit
damit zurechtkommen. Überall da, wo
sich große Summen sammeln, und sei es
auch nur kurzfristig, ist das Geld in Ge-
fahr vor dem Zinsfraß. In der normalen
Finanzwelt wollte jeder möglichst
schnell das Geld von seinem Geschäfts-
partner haben. Unternehmen von ihren
Kunden. Zulieferer von ihren Herstel-
lern. Lieferanten vom Einzelhändler.
Mit Geld ließ sich arbeiten, aus Geld
ließ sich Geld machen. In der gespiegel-
ten Welt mit Minuszinsen ist es genau
umgekehrt. Während man sich früher
nicht darum kümmerte, auf welchen
Konten das eigene Geld lag – solange es
möglichst im Überfluss vorhanden war


  • wird das Guthaben jetzt absurderwei-
    se zum Risiko für das eigene Vermögen.
    Mitte September wird sich die Lage
    wohl noch verschärfen. Die EZB berät
    über weitere Lockerungen – und damit
    weitere Zumutungen. Kreditinstitute
    könnten dann damit beginnen, auch von
    Privatkunden mit kleineren Guthaben
    Negativzinsen zu verlangen. Dass Bay-
    erns Ministerpräsident Markus Söder
    jüngst ein Verbot solcher Gebühren für
    Bankkunden vorgeschlagen hat, zeigt,
    welche Verwirrung der Minuszins an-
    richtet. Als könne der Staat seine Bür-
    ger nur noch mithilfe massiver Markt-
    eingriffe vor der eigenen Zentralbank
    schützen. Und davor, dass die eigene Al-
    tersvorsorge schrumpft.
    „Der Zusammenhang zwischen Zins-
    höhe und Sparen ist völlig aus den Fu-
    gen geraten“, konstatiert Otmar Issing.
    Der Würzburger Ökonomieprofessor
    hat als Chefökonom der Bundesbank
    und später der EZB den Übergang von
    D-Mark zum Euro und die ersten Jahre
    der neuen Zentralbank mitgeprägt. Da-
    mals ging es um verbindliche Regeln
    und die klare Trennung von Geld- und
    Fiskalpolitik. Die verrückte Zinswelt
    von heute ist ihm fremd. „Ich hätte mir
    nicht vorstellen können, dass es einmal
    Minuszinsen gibt“, sagt er. So etwas sei
    in den Verträgen für die Altersvorsorge
    oder in Sparplänen gar nicht vorgese-
    hen: „Das ist in unserem Leben nicht
    kodifiziert“, formuliert es Issing. „Nor-
    malerweise sollte der Anreiz zu Sparen
    bei höheren Zinsen steigen. Aber wenn
    der Zins derart niedrig ist, dass die
    Menschen Sorge um ihre Altersvorsorge
    haben, dann müssen sie sogar noch
    mehr Geld auf die hohe Kante legen, um
    das gleiche Ziel zu erreichen.“
    Nur was, wenn keine Bank dieses
    Geld haben will?


PA/DPA/ BORIS ROESSLER; BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; IMAGO IMAGES / TEUTOPRESS; VISUM; DPA/PA (3); GETTY IMAGES

V


Vor 16 Jahren hatte Franz Vogl etwas
sehr Deutsches vor: Er wollte sparen.
Der Versicherungsangestellte aus Mün-
chen schloss einen Prämiensparvertrag
bei seiner Hausbank ab. Dass der Zins
auf das angesparte Kapital mit zwei Pro-
zent für damalige Konditionen nicht
sonderlich hoch angesetzt war, störte
ihn nicht. „Der Zins ist variabel und
passt sich der jeweiligen Marktlage an“,
hieß es im Kleingedruckten.

VON ANJA ETTEL

Damals las sich das wie eine Verhei-
ßung. Jetzt, in Zeiten von Minuszinsen,
klingt es wie eine Drohung. Zuletzt fiel
der Zins für seinen Sparvertrag auf
0,001 Prozent. Vogl will das nicht hin-
nehmen. Er ist überzeugt, dass seine
Sparkasse die Zinsen falsch berechnet
hat. „Die Marktlage kann nicht an so ei-
nem starken Zinsverfall schuld sein“,
meint er. Ein Gutachter gibt ihm recht.
Doch die Münchner Stadtsparkasse
wehrt ab: Für den niedrigen Zinssatz sei
die Geldpolitik der Europäischen Zen-
tralbank (EZB) verantwortlich. Vogl will
nun vor Gericht ziehen und sich ent-
gangene Zinsen zurückzuholen.
Tausende Sparer rebellieren derzeit
gegen ihre Hausbanken. Es geht um ent-
gangene Gewinne, drohende Gebühren,
sinkende Zinsen. Vor allem aber geht es
um enttäuschtes Vertrauen. Wer spart
oder Geld verleiht, der bekommt dafür
Zinsen. Auf dieser Gewissheit fußte
Deutschlands Aufstieg zur Sparernati-
on. Doch seit die EZB im Juni 2014 den
Zinssatz für Einlagen der Banken erst-
mals unter null gedrückt hat, um Kon-
sum und Investitionen anzuregen und
damit Wirtschaft und Preise in
Schwung zu bringen, ist diese Gewiss-
heit dahin. Guthaben bei der EZB kos-
ten die Banken jetzt richtig Geld. Und
die Kreditinstitute geben den Druck
weiter. Geld bei der eigenen Bank zu
horten, wird für Unternehmen und ver-
mögende Privatleute immer teurer. Be-
lohnt wird, wer Schulden macht. Allen
voran der deutsche Staat, der dank der
Minuszinsen bei der Aufnahme neuer
Schulden am Anleihemarkt Milliarden

Eva Bönigva Bönig
Bürgermeisterin ürgermeisterin
von Freisingon Freising
Die bayrische Kreis-ie bayrische Kreis-
stadt Freising musstadt Freising muss
für ihre liquiden Mit-ür ihre liquiden Mit-
tel Verwahrgelderel Verwahrgelder
zahlen. „Grob geschätzt liegen dieahlen. „Grob geschätzt liegen die
Kosten in 2018 und 2019 jeweils imosten in 2018 und 2019 jeweils im
sechsstelligen Euro-Bereich“, sagtechsstelligen Euro-Bereich“, sagt
Bönig. Die Stadt versucht deshalb,önig. Die Stadt versucht deshalb,
Gelder rasch auszugeben: In denelder rasch auszugeben: In den
nächsten zwei Jahren sollen sieächsten zwei Jahren sollen sie
„nahezu vollständig verwendetnahezu vollständig verwendet
werden.“

Sascha Gläßerascha Gläßer
Vorstand der orstand der
Volksbank Halleolksbank Halle
Angesichts der irra-ngesichts der irra-
tionalen Minuszinsenionalen Minuszinsen
warnt der Bank-arnt der Bank-
manager vor eineranager vor einer
Art „umgekehrten Bank Run“, beirt „umgekehrten Bank Run“, bei
dem Banken ihre Kunden vergrau-em Banken ihre Kunden vergrau-
len. Die regulatorischen Vorgabenen. Die regulatorischen Vorgaben
seien „teilweise schizophren“: Dieeien „teilweise schizophren“: Die
EZB will die Kreditvergabe derZB will die Kreditvergabe der
Banken ankurbeln, die Aufseheranken ankurbeln, die Aufseher
bremsen sie durch höhere Auf-remsen sie durch höhere Auf-
lagen.

Daniel Terbergeraniel Terberger
Geschäftsführer eschäftsführer
von Katagon Katag
Der Minuszins seier Minuszins sei
verführerisch, meinterführerisch, meint
der Unternehmer,er Unternehmer,
weil er zu Investitio-eil er zu Investitio-
nen verleite. Wer als konservativeren verleite. Wer als konservativer
Kaufmann rechne und handele,aufmann rechne und handele,
werde bestraft: „Wer für schlechteerde bestraft: „Wer für schlechte
Zeiten, unvorhergesehen Ereignisseeiten, unvorhergesehen Ereignisse
oder auch einen strategischender auch einen strategischen
Zukauf spart, hat am Ende weni-ukauf spart, hat am Ende weni-
ger Geld als vorher.“

Ernst Prostrnst Prost
Geschäftsführer eschäftsführer
Liqui Moly iqui Moly
Den Mittelständleren Mittelständler
macht stutzig, wieacht stutzig, wie
sehr sich die Haltungehr sich die Haltung
gegenüber säumigenegenüber säumigen
Zahlern verändert. „Früher hatahlern verändert. „Früher hat
man sich jeden Tag um die Außen-an sich jeden Tag um die Außen-
stände gekümmert, heute ist dastände gekümmert, heute ist das
anders.“ Jetzt sind Guthaben einJetzt sind Guthaben ein
Thema: „Wenn eine Bank Strafgeldhema: „Wenn eine Bank Strafgeld
für unser Guthaben will, dannür unser Guthaben will, dann
gehen wir zu einer anderen Bank.“ehen wir zu einer anderen Bank.“

Christian Mielschhristian Mielsch
Finanzvorstand inanzvorstand
von Reweon Rewe
„Auf der Bank gibt esAuf der Bank gibt es
keine Rendite mehr.eine Rendite mehr.
Und bei Sachwertennd bei Sachwerten
wwie beispielsweiseie beispielsweise
Immobilien oder Aktien besteht
das Risiko der Blasenbildung“, be-
obachtet der Handelsmanager.
Daraus könnten Vermögensver-
luste oder sogar Turbulenzen ent-
stehen.

Leben mit Minuszinseneben mit Minuszinsen

FORTSETZUNG AUF SEITE 28

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