Die Welt am Sonntag Kompakt - 01.09.2019

(Brent) #1

38 KULTUR WELT AM SONNTAG NR.35 1.SEPTEMBER2019


ast hätte man vergessen, dass
man sich beim Fernsehpro-
gramm nicht nur langweilen
kann, sondern dass es das im-
mer noch gibt: Menschen, die
sich über das Fernsehen furchtbar aufre-
gen. „Talkshows hassen“ heißt ein Buch-
pamphlet des studierenden Politikwissen-
schaftlers Oliver Weber. Der Autor rech-
net darin mit seinen Intimfeinden ab:
Will, Plasberg, Maischberger, Illner: „Es
ist an der Zeit, sich von der politischen
Lustlosigkeit des Talkshowbetriebes zu
befreien.“

VON DIRK SCHÜMER

Ins gleiche Horn bläst der Aktions-
künstler Philipp Ruch, der in seinem aktu-
ellen Buch fordert, Politiker in den deut-
schen Gesprächssendungen durch Dich-
ter, Intendantinnen und Intellektuelle
(„Magier des kollektiven Gedächtnisses“)
zu ersetzen: „Wie wäre es mit einer
„Maischberger“-Sendung: Intellektuelle
in der Öffentlichkeit: abwesend, ver-
schwunden, ausgestorben?“
Ja, wie wäre das wohl? Wie, wenn nach
WWWebers Wunschdenken endlich ein Endeebers Wunschdenken endlich ein Ende
gemacht würde mit all der Selbstreferen-
zialität, der Langweile, den Kriseninsze-
nierungen in den TV-Plaudersesseln der
Republik? Dann gäbe es, weil gar keine Po-
litiker mehr reden dürften, auch keine
AAAfD-Politiker mehr auf dem Schirm, wasfD-Politiker mehr auf dem Schirm, was
sicher auch Olaf Zimmermann dem „Ge-

schäftsführer des Deutschen Kulturrates“
gefiele. Dem war der Auftritt eines AfD-
Politikers bei „Hart aber fair“ erst jüngst
Grund, eine „einjährige Auszeit“ für das
gesamte Sendeformat zu fordern. Auch
RRRuch und Weber sind sich sich einig, dassuch und Weber sind sich sich einig, dass
die Redezeit für Rechtspopulisten im
Fernsehen der AfD ihre großen Erfolge
üüüberhaupt erst ermöglicht hat.berhaupt erst ermöglicht hat.
Solch Talkshowalarm ist freilich
nicht neu. Schon zu Zeiten von Erich
Böhme und Sabine Christiansen erei-
ffferten sich Kritiker, dass hier Sachthe-erten sich Kritiker, dass hier Sachthe-
men auf personalisierte Stammtisch-
runden mit immer denselben Gesich-
tern heruntergebrochen werden. Mit
dem Unterschied, dass die Gesichter
damals Westerwelle hießen oder Geiß-
ler und heute Habeck oder Röttgen.
Beckmann heißt jetzt Lanz – und Chris-
tiansen Will und zwischendurch mal
Jauch. Und sonst ändert sich nichts.
Perverserweise drücken Ruch wie We-
ber eine rührend anachronistische
Sehnsucht nach TV-Heimeligkeit aus,
von der sie lebensgeschichtlich nichts
mitbekommen haben. Ausgerechnet
RRRuch raunt von einer „Zeit, die ein Ge-uch raunt von einer „Zeit, die ein Ge-
spür für Langeweile, Verklemmtheit
und Wortakrobatik von Politikern be-
saß“. Sind Langeweile und Verklemmt-
heit mit politischer Schönheit verein-
bar? Und Weber, notabene Jahrgang
1 997, schwärmt von Werner Höfers „In-
ternationalem Frühshoppen“. Meint er
das ernst? Nur wer selber nie das ver-
bissene Ritual dieser Kaltkriegskonver-
sation vor träge dahinfließender Rhein-
kulisse erdulden musste, kann sich kla-
ren Geistes nach dem Holozän der TV-
Geschichte am alkoholbesäuselten
Sonntagmorgen zurücksehnen.

VIEL SPOTT SCHON DAMALSWWWernererner
Höfer, bekehrter Nazi-Propagandist und
darob mit unverrückbarer Humorlosig-
keit ausgestattet, wurde angesichts der
genüsslichen Weintrinkpausen seiner
Gäste („Mit fünf Journalisten aus vier
Ländern“) damals schon gerne verspottet:
„Mit fünf Alkoholikern aus sechs Anbau-
gebieten.“ Ansonsten schlief zwar das
Format irgendwann ein, reinkarnierte
aaaber als immer noch beliebter Presseclubber als immer noch beliebter Presseclub
in Köln am Rhein – mit Mineralwasser.
WWWo also liegt das Problem? Kann es imo also liegt das Problem? Kann es im
Zeitalter von Bloggern und Influencern
wirklich noch darum gehen, die kaputte
Streitkultur dieses vom Schicksal ge-
straften Deutschlands an ein paar Plau-
dersendungen im öffentlich-rechtlichen
AAAbendprogramm festzumachen? Gegenbendprogramm festzumachen? Gegen
wortreiche Abrechnungen im Buchfor-
mat reicht für die Existenzbeglaubigung
von „Anne Will“ oder „Maybrit Illner“
ein kurzer Blick auf die Einschaltquoten.
Die rund zwei bis fast vier Millionen
Menschen, die an einem späteren Abend
schon den Wecker gestellt haben und
trotzdem geduldig zuhören, muss man
erst einmal hinter dem Couchtisch vor-
locken. Das gelingt, empirisch erprobt,
nun mal am ehesten der wöchentlichen
Soap mit der allseits beklagten „Talk-
show-WG“: prominenten Politikern, zu-
weilen auch Schauspielern, notfalls so-
gar Journalisten. Philipp Ruchs „sprach-
mächtige Begriffsskulpteure“, die als
„Querdenker“ im Kielwasser Heinrich
Bölls die Talkshows entern sollen, wür-
den keine so gute Figur machen. Auch
Oliver Weber hat offenbar eher konkur-
renzlosen Staatsfunk der 50er-Jahre im
Hinterkopf, wenn er zur besten Sende-
zeit „Betroffene, Bürgerinitiativen,
Nichtregierungsorganisationen, Bürger-
meister, Landespolitikerinnen, Intellek-

Ist die


Talkshow


am Ende?


Die Deutschen und das Fernsehgeplauder


verbindet eine jahrzehntelange Hassliebe.


Zwei Bücher fordern jetzt eine radikale


Veränderung. Dabei sind ihre Visionen


eher rückwärtsgewandt, propagieren


Langweile und politische Verklemmtheit


F


NDR/ WOLFGANG BORRS

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