Die Welt am Sonntag Kompakt - 01.09.2019

(Brent) #1

WELT AM SONNTAG NR.35 1.SEPTEMBER2019 KULTUR 39


ANZEIGE

Sieben Jahre sind seit dem letzten
Studioalbum vergangen – doch nie
war Max Herre besser als heute.
„Athen“ sei eine Auseinandersetzung
mit der Subjektivität des Scheiterns
und der Kraft neuer Anfänge, heißt
es im Info. Formal folgt das Album
der Idee einer Reise nach Athen. Da
gibt es persönliche Dramen, ge-
scheiterte Träume und kraftvoll
sinnliche Bilder. In „Villa auf der
Klippe“ taumelt Herre zu Trap-Beats
einem Abgrund entgegen, unter-
stützt von Trettmanns melancho-
lischen Cyborg-Gesang: „Und sie
sieht durch mich durch, und ich kuck
nicht mal hin, sagt, dass ich Luft für
sie bin.“ Musikalisch ist der Mix aus
HipHop, R&B und Jazz nahe bei
Drake, Solange und anderen US-Big-
Names. Leicht und elegant tänzeln
die Beats, aber darunter brodeln
emotionale Beben. JÜRGEN ZIEMER

PLATTENKRITIK

Max Herre


Der „Rolling Stone“, Deutschlands
wichtigstes Musikmagazin, erstellt
die Plattenkritik exklusiv für „Welt
am Sonntag Kompakt“

Max Herre:
„Athen“
(Universal)

tuelle, Studentinnen“ in die Sessel hie-
ven will. Illusionslose Macher wie San-
dra Maischberger oder Frank Plasberg
haben die Erfolgsaussichten solcher
Konzepte auf den Punkt gebracht: Es
sollen so viele Menschen wie möglich bei
einigermaßen garantiertem Niveau Poli-
tikthemen lauschen und nicht abschal-
ten. Es geht hier – und das war von An-
fffang an gewollt – um die Vermittlung ge-ang an gewollt – um die Vermittlung ge-
sellschaftlicher Themen im Boulevard-
ffformat. Ist das nicht gegeben, switchenormat. Ist das nicht gegeben, switchen
die Menschen zum Frauenboxkampf, zur
Dauerwerbesendung für Modeschmuck,
zum Schwedenkrimi.
Man kann leicht das Gedankenexperi-
ment starten und sich an Weber halten,
wenn er bemängelt: „Der gesamte süd-
amerikanische Kontinent wird in den po-
litischen Talkshows weitgehend ausge-
blendet.“ Mit den Waldbränden am
Amazonas ist inzwischen das mediale
Katatstrophenszenario gegeben, daher
nehmen wir vielleicht lieber „die bevöl-
kerungsreichste Demokratie der Erde,
Indien“, die Weber gleichfalls schmerz-
lichst vermisst.
Ich bin selber dann und wann in eine
dieser Talkshows eingeladen worden
und war dabei nicht mit ideenlosen Dun-
kelmenschen in demokratiefernen Re-
daktionen konfrontiert. Stattdessen sit-
zen da wache Kollegen, die das echte
Problem haben, Woche für Woche das,
was die Menschen gerade interessiert, in
einer möglichst niveauvollen Plauder-
stunde mit Politprofis unterzubekom-
men, die das Talken wahrlich nicht im-
mer im Blut haben.
Doch was können Moderatoren und
Beteiligte überhaupt anders machen? Ich
selber nahm mir in solchem Fall stets vor,

so höflich und doch witzig wie möglich zu
reagieren, ein paar Fakten zum Thema
loszuwerden, mich dabei nicht durch ei-
nen Fauxpas zu blamieren und hoffent-
lich nicht allzu blasiert herüberzukom-
men. Mehr kann man, wenn man ein paar
Minuten Rederecht an der Rampe erhält,
ohnehin nicht hinbekommen. Und die
Politiker, die hier einmal vor Millionen-
publikum an ihrer Prominenz (und damit
an ihren Karrierechancen) schrauben
können und doch nie ihre unverblümte
Meinung sagen dürfen, weil dann die Kar-
riere womöglich mit einem falschen Wort
schon wieder beendet wäre – haben mir
stets eine Mischung aus Mitleid und
Hochachtung abgenötigt.

AUTHENTISCH SEIN LOHNTPolitiker,
die wie Wolfgang Bosbach oder Robert
Habeck einigermaßen authentisch, stel-
lenweise ungeschützt und menschlich
sprechen können, befördert das System
nicht zufällig immer wieder aufs Talkka-
russell. Und auch die Kritik, dass hier im-
mer nur über Deutschland geredet wird,
lässt sich aus der Innensicht entkräften.
Sobald Themen der EU, des Euro oder des
WWWeltklimas nicht auf die deutsche Befind-eltklimas nicht auf die deutsche Befind-
lichkeit bezogen werden, schauen leider
so wenige Leute zu wie bei Phoenix.
Dass dieses recht simple Boulevardfor-
mat für sehr komplexe Themen immer
wieder zwischen den Klippen Popularität
und Langeweile hindurchmuss, hat nach
all den Jahren seit Böhme und Christian-
sen das große Publikum dennoch nicht
vertrieben. Darum, nur darum und schon
gar nicht zur politischen Sedierung der
Nation gibt es all diese Sendungen über-
haupt, wenngleich der Altersschnitt der
Zuschauer inzwischen Richtung 60, bald

6 5 Jahre schreitet. Umso putziger der mo-
dische Talkshowhass, der unterstellt, dass
in diesen Sesseln tatsächlich noch die Zu-
kunft der Republik geformt wird.
RRRührend gar, wenn ein junger Analystührend gar, wenn ein junger Analyst
wie Weber, der seiner Freundin „für das
liebevolle Ertragen endloser, trister Talk-
showstunden bis tief in die Nacht“ dankt,
staunend konstatiert: „Schaut man über
einen längeren Zeitraum sämtliche Talk-
shows, stellt sich irgendwann ein merk-
wwwürdiges Gefühl ein.“ In diesem merk-ürdiges Gefühl ein.“ In diesem merk-
wwwürdigen Gefühl liegt sein persönlichesürdigen Gefühl liegt sein persönliches
Problem. Welcher Mensch, der nicht ein-
sam oder gelangweilt oder schlaflos wäre,
sollte sämtliche Talkshows ansehen? Man
muss es ja nicht. Und auch Ruch, der ger-
ne mit Intendantinnen und Lyrikern in
den verwehten Spuren Alexander Kluges
sein individuelles Staatsfunkloch bespie-
len würde, scheint gar nicht gemerkt zu
haben, dass ihn heute niemand an diesem
Format mehr hindern kann. Im Internet
kann er gegen angemessenes Entgelt den
digitalen Queerdenker Rezo einladen und
hinterher an den YouTube-Klicks nach-
rechnen, ob sich mit seinem Personal die
„Betondecke der Wirklichkeit“ wirklich
aaaushebeln lässt.ushebeln lässt.
Den standesgemäßen Abschluss der
gerade grassierenden Talkshowphobie
böte naturgemäß eine Talkshow. Am bes-
ten Plasbergs „Hart aber fair“ mit einer
nachdenklichen Anne Will neben den
missgelaunten Ruch und Weber und dem
endlich prominenten „Geschäftsführer
des deutschen Kulturrates“. Und aus Er-
barmen mit den Zuschauern vielleicht
doch noch Ralf Stegner. Thema: „Gefahr
Talkshow – werden die Deutschen am
Bildschirm für dumm verkauft?“ Es wür-
de ein Abend wie immer.

gerechtes-netz.eu


Hey Amazon, setz mal


Transparenz auf den


Wunschzettel!


Konsumverhalten lenken, ohne


dass Konsumenten verstehen wie:


NICHT OK AMAZON


RELEASED BY "What's News" vk.com/wsnws TELEGRAM: t.me/whatsnws

RELEASED RELEASED

BY

"What's


News" News"

vk.com/wsnws

TELEGRAM: TELEGRAM:

t.me/whatsnws
Free download pdf