Die Welt am Sonntag Kompakt - 01.09.2019

(Brent) #1

42 KULTUR WELT AM SONNTAG NR.35 1.SEPTEMBER2019


iemand kann sich erinnern,
dass es so etwas schon ge-
geben hätte. Die Präsiden-
tin der Jury des großen Fes-
tivals von Venedig drückt
schon vor Beginn ihre Abneigung ge-
genüber einem der wichtigsten Filme
aus, über den sie zu entscheiden hat.
„Ich werde dem Regisseur nicht zu sei-
nem Film gratulieren“, verkündete die
argentinische Regisseurin Lucrecia
Martel, bevor sie „J’accuse“ überhaupt
gesehen hatte. Sie werde auch nicht zu
dem Gala-Dinner gehen, das für jeden
Wettbewerbsfilm gegeben wird.

VON HANNS-GEORG RODEK

Der Regisseur wäre auch nicht anwe-
send gewesen, um eine Gratulation ent-
gegenzunehmen. Roman Polanski ent-
schied sich, nicht nach Italien zu reisen;
die Italiener sind unsichere Kantonis-
ten und könnten ihn festnehmen,
schließlich liegt immer noch ein ameri-
kanischer Haftbefehl gegen ihn vor.
Martel bemühte sich, nicht vollends
auf Konfrontationskurs mit den Fest-
spielen zu gehen, die ihr die Ehre erwie-
sen, der Jury vorzustehen. „Ich denke,
dass es richtig ist, den Film hier zu zei-
gen“, sagte Martel und ging dann auf
den Vergewaltigungsfall ein, der Polans-
ki seit vier Jahrzehnten verfolgt: „Ein
Mann, der ein solch schweres Verbre-
chen begeht und dafür verurteilt wurde
und dessen Opfer sich mit der Buße, die
er dafür tat, zufriedengestellt erklärt,
ist für mich schwer zu beurteilen. Sol-
che Fragen gehören zu den Debatten,
die wir heute führen müssen.“
„J’accuse“ steht gleich im Zentrum
mehrerer Debatten. In der Mitte des
Films lodert ein öffentlicher Scheiter-
haufen, der von Büchern Émile Zolas
gespeist wird, und anonyme Hände be-
malen Schaufenster mit einem Juden-
stern und der Parole „Tod den Juden“,
bevor sie eingeworfen werden. Wir
schreiben nicht Berlin 1933, sondern Pa-
ris 1898. Etwas früher in Polanskis Film
sortieren Hände mit Namen beschrifte-
te Mappen, es sind Personalakten von
Offizieren, die verdächtigt werden, Ge-
heimnisse der französischen Armee an
die Deutschen verraten zu haben. Die
Sortieraktion stoppt bei einer Mappe,
auf der „Dreyfus“ steht: „Ein Jude“, be-
merkt der Minister, „der Einzige im Ge-
neralstab.“ Als solcher scheint er a prio-
ri verdächtig.
Die Affäre Dreyfus ist der aktuellste
125 Jahre alte Skandal, der sich denken
lässt. Er brachte den latenten Antisemi-
tismus der französischen Gesellschaft
zum Vorschein, der unter der Oberflä-
che schwärte. Er war Ausdruck einer
Fremdenfeindlichkeit, wie beim Ge-
heimdienstchef, der bei Polanski die
Frage stellt, ob Frankreich überhaupt
noch den Franzosen gehöre. Er endete
nach Zolas Manifest „J’accuse...“ in
dem ersten großen Sieg einer bürger-
lich-demokratischen Öffentlichkeit
über den Korpsgeist von Institutionen
wie Armee und Kirche. Er führte direkt

zur Trennung von Staat und Kirche in
Frankreich. Er spaltete aber auch die
Gesellschaft in einem Maße, wie wir es
gerade wieder erleben; wahrscheinlich
gibt es selbst heute noch Kreise in
Frankreich, für die Dreyfus schuldig war


  • trotz überwältigender Beweise des
    Gegenteils.
    Die Affäre Dreyfus stand auch am An-
    fang des Kinos. Der französische Film-
    pionier Georges Méliès war 1898 schon
    schneller, als das heute üblich ist. Noch
    während die Affäre sich entfaltete, setz-
    te er sie in seinem Studio in Szene und
    brachte elf Kurzfilme ins Kino, Dreyfus’
    Verhaftung, seine Degradierung, seine
    Ankunft auf der Teufelsinsel – alle Sta-
    tionen bis zum Ende seines zweiten
    Prozesses. Es war die erste mediale Auf-
    bereitung eines Realdramas mit laufen-
    den Bildern.


DREYFUS WAR UNSCHULDIGNun
also, nach einem halben Dutzend Drey-
fus-Filmen quer durch das Jahrhundert,
der Polanski-Dreyfus. Und hier fällt ei-
ne weitere aktuelle Parallele ins Auge.
Diesen April reichte Roman Polanski
beim Landgericht Los Angeles eine Kla-
ge gegen seinen Ausschluss aus der
amerikanischen Filmakademie ein. Da-
rin zieht er gewisse Parallelen. „Es gibt
sowohl Ähnlichkeiten als auch Unter-
schiede zwischen Mr. Dreyfus und Mr.
Polanski“, heißt es in seiner Eingabe.
„Kurz gesagt, war Dreyfus unschuldig,
und Herr Polanski hat seine Schuld zu-
gegeben. Aber in beiden Fällen haben

die Autoritäten ernsthafte Fehler be-
gangen und sich geweigert, diese zu kor-
rigieren, um ,das System‘ zu schützen.
Sowohl in Los Angeles als auch in
Frankreich tauchten in der Öffentlich-
keit antisemitische Untertöne auf.“
Wenn Polanski nun also Dreyfus ver-
filmt hat, sieht er offenbar zwei Opfer,
ihn und sich selbst, obwohl sich der
Film jeglicher aktueller Anspielung ent-
hält. Er ist ein Historiendrama der auf-
wendigen Sorte, mit einem überzeugen-
den Jahrhundertwende-Paris, Hunder-
ten von Statisten und verschwenderisch
in Szene gesetzten Kostümen. Nicht
Dreyfus selbst ist die Hauptfigur, son-
dern der neue Leiter der Sicherheitsab-
teilung, dessen Recherchen seinen Ver-
dacht immer mehr bestätigen, Dreyfus
sei Opfer eines antisemitischen Kom-
plotts geworden. Es ist eine Art histori-
sche Enthüllungsgeschichte, geschrie-
ben von dem Engländer Robert Harris,
dem Spezialisten für historische Fiktion
von „Vaterland“ bis „Pompeji“.
Das Budget von „J’accuse“ ist nicht
bekannt, aber billig sieht der Film ganz
und gar nicht aus. Im Abspann findet
sich ein Produzentenname, der bisher
noch nie in Zusammenhang mit dem
Projekt erwähnt wurde, der eines gewis-
sen Roman Abramowitsch. Sollte es sich
um den früheren Vertrauten von Wladi-
mir Putin handeln – jüdischer Herkunft,
reichster Israeli, inzwischen in London
ansässig –, wäre dies ein weiteres Ele-
ment in dem dichten Gewebe histori-
scher Kontinuitäten um diesen Film.

J’accuseSzene aus dem
neuen Film von Roman
Polanski

FILMFEST VENEDIG

1 25 Jahre alter Skandal



  • höchst aktuell


„J’accuse“ spaltet


mal wieder die


Gesellschaft:


Polanskis


Verfilmung der


Dreyfus-Affäre in


Venedig


N


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