Die Welt am Sonntag Kompakt - 01.09.2019

(Brent) #1
überall dort, wo Elektroautos auf Strom warten.
Denn hierzulande existiert gar nicht die Lade-Infra-
struktur für eine solche E-Armada. Zwar schießen die
Säulen seit einigen Jahren wie Pilze aus dem Boden.
Das Problem ist nur: Es werden die falschen Ladesäu-
len gebaut – die langsamen. Die jedoch, mit denen die
E-Fahrer ihre Autos innerhalb einer halben Stunde
fast vollladen können, entstehen hierzulande so gut
wie gar nicht. Wobei eine halbe Stunde auch schon
lang genug ist, insbesondere wenn man es eilig hat und
deshalb ein Auto benutzt. Insofern würde es sich an-
bieten, die Raststätten proportional zum Ausbau der
Ladestationen zu vergrößern und eventuell ähnlich
den Flughäfen in Shoppingmalls zu verwandeln.
Doch das scheint zu dauern, denn dieselbe Bundes-
regierung, die ganz schnell möglichst viele Elektroau-
tos möchte, blockiert den Ausbau der entsprechenden
Infrastruktur. Sie beharrt auf regulatorischen Vorga-
ben, die den Bau von Schnellladesäulen derzeit erheb-
lich verzögern. Vielleicht gibt es aber auch gute Grün-
de dafür. Zu viele Schnelllader zugleich benutzt, könn-
ten das ohnehin fragile Elektrizitätsnetz leicht über-
fordern.
Konkret geht es um ein typisches deutsches Büro-
kratiegut. Die „Eichrecht-Konformität“ macht es na-
hezu unmöglich, eine Schnellladestation zu installie-
ren. Denn nach deutschem Recht und Gesetz muss
Strom, wie andere Verbrauchsgüter auch, exakt ge-
messen und abgerechnet werden. Deshalb ist hierzu-
lande jeder Stromzähler geeicht, besitzt sozusagen ein
gesetzliches Prüfsiegel. Wer das nicht hat, dem drohen
Strafzahlungen bis zu 50.000 Euro. Diese Eichtechnik
ist bei Elektroschnellladesäulen aber extrem schwer
integrierbar, weil Gleich- und Wechselstrom zusam-
menkommen. Die Ingenieure scheitern bislang daran.
In den Niederlanden und vor allem in Norwegen, wo
kraft Erdöl und Wasserkraft Strom reichlich vorhan-
den ist, gibt es die Turbo-Ladesäulen in Hülle und Fül-
le, da kommt es auch nicht so sehr darauf an, ob die
Rechnung stimmt oder nicht.
Die Bundesregierung tickt anders. Sie schafft erst
einen nahezu unüberwindbaren gesetzlichen und re-
gulatorischen Rahmen, der eine ganze Industrie so
lange beschäftigt, bis der Rückstand kaum noch auf-
holbar ist. Stattdessen feiert man sich für die
20.000. Eröffnung einer Ladesäule, die niemand
braucht.
Eines ist sicher: Teuer wird die E-Wende in je-
dem Fall. Die Deutschen zahlen europaweit – neben
den Dänen – dabei jetzt schon die höchsten Strom-
preise. Das ist auch kein Wunder, denn es braucht er-
heblich Geld und Energie, um die vielen Windräder im
Lande und zu Wasser am Drehen zu halten. Früher
nannte man so etwas Milchmädchenrechnungen.
Die Schildbürger schaufelten Sonnenschein in Ei-
mer, Kessel, Kannen, Töpfe und Kartoffelsäcke
und schütteten dann das Licht ins Dunkel ihres
Rathauses, was irgendwie nicht so recht funk-
tionierte. Offenbar hatte sich die Grünen-
Vorsitzende Annalena Baerbock daran ori-
entiert, als sie in einem Gespräch mit dem
Deutschlandfunk sagte: „Und natürlich
gibt es Schwankungen. Das ist vollkom-
men klar. An Tagen wie diesen, wo es grau
ist, haben wir natürlich viel weniger erneuerbare
Energien. Deswegen funktioniert das Netz als Spei-
cher.“
Leider funktioniert das nicht, denn Strom ist nicht
so einfach „im Netz“ zu speichern. Schön wäre es. Und
es ist nicht die einzige Milchmädchenrechnung, wenn
es um erneuerbare Energien geht.
Zumeist wird bei der Leistung von Windkraftanla-
gen im Vergleich zu konventionellen Kraftwerken die
installierte Leistung angegeben statt der tatsächlich
produzierten nutzbaren Leistung. Physiker aus dem
Physikalischen Institut der Universität Heidelberg ha-
ben dazu auf der Homepage ihres Instituts eine be-
merkenswerte Stellungnahme verbreitet und sogar ih-
re Namen, unter anderen den des Institutsleiters, da-

runtergesetzt. Darin heißt es: „Die tatsächlich im
ganzjährigen Betrieb im Mittel gelieferte nutzbare
Leistung einer Windkraftanlage ist nur ein Viertel, die
einer Fotovoltaikanlage nur ein Achtel der installier-
ten Leistung.“ Ihre installierte Leistung erreichten So-
larzellen nur bei senkrechtem, ungetrübtem Einfall
des Sonnenlichts – also gegen zwölf Uhr mittags ent-
lang des Äquators.

GELD FÜR GEISTERSTROMWindräder würden bei
schwerem Sturm um Windstärke zehn zur Vermei-
dung von Überbelastung des Netzes aus dem Wind ge-
dreht. Das allerdings ist nicht zum Nachteil des Be-
treibers. In solchen Fällen bekommt er nämlich den
sogenannten Geisterstrom vergütet. Wie der Bundes-
verband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW)
mitteilt, wurden etwa von Januar bis März 3,23 Milliar-
den Kilowattstunden Windstrom zwangsweise „abge-
regelt“, um einen Blackout durch Überlastung zu ver-
meiden. Geld bekamen die Betreiber trotzdem für jede
nicht produzierte Kilowattstunde. Das Erneuerbare-
Energien-Gesetz (EEG) gewährt den Betreibern eine
Entschädigung von 95 Prozent der entgangenen Ein-
nahmen. Übersteigen die entgangenen Einnahmen ein
Prozent der gesamten Einnahmen des Jahres, werden
von da an 100 Prozent entschädigt. Der Verbraucher
zahlt für den nicht produzierten Geisterstrom – allein
im ersten Quartal dieses Jahres 364 Millionen Euro.
Stillstand wiederum ist kein exklusives Problem.
Auch im Hamburger Verkehr kann von Bewegung nur
noch selten die Rede sein. Hamburg ist die Stauhaupt-
stadt Deutschlands. Unangefochten. Noch vor Berlin,
das doppelt so viele Einwohner hat. Die Ursache des
Problems ist seit Jahrzehnten bekannt. Hamburg ver-
fügt über den drittgrößten Seehafen Europas. Anders
als die meisten anderen großen Hafenstädte dieser
Welt besitzt Hamburg jedoch keinen geschlossenen
Autobahnring, der die Lkws, die täglich zum Be- und
Entladen an die Docks kommen, zuverlässig um die
Stadt herumleitet.
Seit über 90 Jahren ist die Autobahnanbindung des
Hamburger Hafens in der Planung. Die Nationalsozia-
listen übernahmen die Autobahnpläne aus der Weima-
rer Republik. Das Projekt wurde zurückgestellt, weil
die Nazis zunächst Europa überfallen und in Schutt
und Asche legen wollten. 1970 wurden die Ideen von
1926 wieder aufgegriffen. 1979 begannen konkrete Pla-
nungen für eine „Hafenquerspange“. 14 Jahre später
wurde die Querspange als „vordringlicher Bedarf“ in
den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen.
1999 folgte eine „Machbarkeitsstudie“ für die Finan-
zierung, 2001 eine „Zukunftskonferenz“, auf der alter-
native Trassenführungen debattiert wurden, 2005
kündigte der Hamburger Senat den Baubeginn für
2010 an. 2008 folgte eine neue „Machbarkeitsstudie“,
2011 die Trassenänderung und ein erstes Planfeststel-
lungsverfahren, 2017 „Stadtteilgespräche“, „Work-
shops“ und ein „BürgerInnen-Gutachten“ zur jetzt
A-26-Ost genannten Hafenquerspange mit der Forde-
rung nach Überdachung der Fahrbahn aus Lärm-
schutzgründen.
Im Januar 2019 einigte sich nach Meldungen des
„Hamburger Abendblattes“ die Verkehrsbehörde „un-
ter anderem mit dem Nabu auf verschiedene Natur-
schutzmaßnahmen. Im Gegenzug verzichten die Na-
turschützer auf eine Klage.“ Das 9700 Meter lange
Teilstück der ursprünglichen Hafenspange soll, so ver-
spricht es die Verkehrsbehörde Hamburg vage, „ab
2020“ gebaut werden. Mit der Fertigstellung wird frü-
hestens 2028 gerechnet.
Und damit wäre, wenn denn alles funktioniert, erst
die Lücke im Süden geschlossen. Zwischen dem der-
zeitigen Ende der A 20 aus Richtung Rostock bei Bad
Segeberg und dem Anschluss an die A 7 bei Bad Bram-
stedt fehlen ebenfalls über 30 Kilometer Autobahn.
Auch hier reichten die Naturschutzverbände Nabu
und BUND Klage ein, weil Fledermäuse auf ihrem Flug

FORTSETZUNG AUF SEITE 8

WELT AM SONNTAG NR.35 1.SEPTEMBER2019 DEUTSCHLAND & DIE WELT 7


Auf der A 5 in


Hessen stehen für


einen Test 230


Oberleitungsmasten


für E-Lkw, dabei


gibt es kaum


Fahrzeuge dafür


,,


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