Der Stern - 29.08.2019

(Tina Meador) #1

Am Ende dieser irren Woche bringt


Mette Frederiksen das Altglas weg. Unge-


schminkt, das Oberteil im Leopardenfell-


Look und offenbar bestens gelaunt foto-


grafiert sich Dänemarks Ministerpräsi-


dentin am Recycling-Container. Es wirkt,


als räume sie auf, am Morgen nach einer


ausgelassenen Party. Wein- und Wasser-


flaschen ragen aus ihrem Pappkarton.


Sie hätte auch Champagner trinken kön-

nen. Jeder hätte das verstanden. Erst seit


zwei Monaten ist sie Regierungschefin, mit


41 die jüngste, die es in ihrem Land je gab.


Eine erstaunliche Politikerin, in vielerlei


Hinsicht. Und schon hat sie ein politisches


Wunder vollbracht: Mit nur einem Wort


hat sich die Sozialdemokratin auf die


internationale Bühne katapultiert – und


das auch noch in der Rolle der sympa-


thisch-souveränen Gegenspielerin des


Wüterichs Donald Trump und als Siegerin


in der Schlacht um Grönland.


Frederiksens Machtwort lautete: „Ab-


surd.“ Als absurd bezeichnete sie Trumps


Vorschlag, dass die USA den Dänen doch


Grönland abkaufen könnten. Absurd! Al-


lein dieses Wort reizte Trump offenbar so


sehr, dass er zurückschlug. „Nasty“, seien


Frederiksens Worte, gemein und fies,


schimpfte er. Über Twitter sagte er seinen


Staatsbesuch in Dänemark ab.


Diplomatisch traf das die Dänen zwar


hart, gelten sie doch als enge Verbündete


der USA, als besonders treue Nato-Partner.


Trotzdem bejubelten sie Frederiksen.


Denn so geht’s ja nicht. Grönland kaufen?


Absurd.


„Außenpolitisch war Mette Frederiksen
bislang nicht besonders profiliert“, sagt
Rasmus Dam Nielsen, politischer Reporter
für TV2, einen der öffentlich-rechtlichen
Sender. Wie auch? Nach ihrer Wahl im Juni
hatte sie gerade mal Zeit, in Brüssel die
neue Kommissionspräsidentin zu küren
und Angela Merkel in Berlin zu besuchen.
Dann war auch schon Sommer. Frederik-
sen paddelte in Schweden und zeigte auf
Facebook, wie sie ihren Rasen mähte. Und
dann eben Trump. „Jetzt kennt sie jeder“,
sagt Nielsen. „Frederiksen ist die Frau, die
Donald Trump hat abblitzen lassen.“
Trump hat sich angewöhnt, Frauen, die
ihm widersprechen, öffentlich „fies“ zu fin-
den. Das ist Teil seiner Testosteron-Diplo-
matie. Er argumentiert nicht, er beleidigt
und ist beleidigt. Hillary Clinton? Nancy
Pelosi, die mächtige Demokratin? Meghan
Markle, Prinz Harrys Frau und Herzogin
von Sussex? Alle fies. Mit Däninnen hat
Trump offenbar ein besonderes Problem:
Der EU-Wettbewerbskommissarin Mar-
grethe Vestager unterstellt Trump, sie
hasse Amerika, weil sie US-Firmen wie
Google zu empfindlichen Geldstrafen ver-
donnert. Vestager nennt er deshalb „diese
Steuer-Frau“.

Links und rechts zugleich


Jetzt gehört auch Frederiksen zu diesem
Klub von Frauen, die Trump mit seinen At-
tacken adelt. Auf den ersten Blick scheint
das zwingend, wirkt Frederiksen doch wie
ein perfekter europäischer Gegenentwurf
zu Trump: weiblich, jung, mit einer klaren

grünen Agenda. Bis 2030 will ihre Regie-
rung den Ausstoß von klimaschädlichen
Treibhausgasen um 70 Prozent im Ver-
gleich zu 1990 reduzieren.
Aber das Bild ist ambivalent. Bei nähe-
rer Betrachtung hat sich gerade die Chefin
der dänischen Sozialdemokraten dadurch
profiliert, dass sie vor Methoden à la Trump
nicht zurückschreckt, vor allem, was den
Umgang mit Flüchtlingen betrifft. Durch-
aus populistisch inszeniert sie sich nicht
nur als Retterin Grönlands, sondern vor
allem als Retterin der europäischen Sozial-
demokratie.
Dass Trumps Verhalten keineswegs nur
absurd ist, hat Frederiksen früh erkannt.
Als der schillernde Immobilienhändler
und TV-Star von den US-Republikanern
zum Präsidentschaftskandidaten gekürt
wurde, warnte sie: „Ich bin in vielem mit
Trump nicht einverstanden. (...) Aber die
Menschen, für die er spricht, haben seit
Langem eine Stimme vermisst, die ihre
Ängste und Frustrationen zum Ausdruck
bringt.“ In Dänemark und in Europa gibt
es auch solche Menschen, lautete ihre Bot-
schaft. Und: Wir müssen die ernst nehmen.
Sonst gehen wir unter.
Was das konkret bedeutet, erläuterte
Frederiksen dann bei einem Kongress der
Europäischen Sozialdemokraten in Lissa-
bon. Man könne verlorenes Vertrauen nur
wiedergewinnen, wenn man die „Zuwan-
derungskrise“ anpacke, sagte sie. Und bei
dieser „Krise“ gelte: „Wir wissen alle: Wir
können in Europa nicht allen helfen.“ Bald
sorgte Frederiksen mit radikalen Forde-

Mette Frederiksen ist hart bei Migrations- und Grönlandfragen Trotz Autonomie gehört Grön

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