Florian Güßgen hat „Borgen“ und
„House of Cards“ gesehen. Das Rededuell
um Grönland erinnerte ihn eher an die
Gebietskämpfe in „Game of Thrones“ –
und an den Wahnsinn mancher Herrscher FOTOS: FRANCIS DEAN/REX/SHUTTERSTOCK
Flemming Frederiksen erst jüngst wieder
gesagt, „dass Mette, wenn sie es nur will, das
Zeug hat, es bis ganz nach oben zu schaffen.“
Mette will. Sie ist eine gute Schülerin,
später wird sie als Erste in der Familie
studieren, in ihrer Freizeit schwimmt sie
- und sie macht Politik. In der Schule
ruft sie zum Boykott von McDonald’s auf,
weil der Fast-Food-Konzern mit seinem
Fleischbedarf die Abholzung des Regen-
walds befördere. Sie protestiert gegen
Tierversuche und gegen die Apartheid
in Südafrika. Dass Frederiksen mit 15 bei
den dänischen Jusos eintritt, ist selbst-
verständlich.
Afrika beschäftigt sie besonders, nicht
nur wegen der Apartheid. Nach dem Abi-
tur arbeitet Frederiksen eine Weile in
einem kenianischen Dorf als Lehrerin.
Jahrzehnte später kehrt sie noch einmal
dorthin zurück, diesmal mit ihren zwei
Kindern Ida Feline und Magne – und ohne
den idealistischen Überschwang aus ihrer
Jugend. Ein Demokratiekurs allein, sagt
sie jetzt, reiche nicht, um Korruption ein-
zudämmen. Korruption könne man nur
bekämpfen, wenn die Mittelschicht Ver-
trauen fasse, wenn sich Polizisten und
Beamte darauf verlassen könnten, ordent-
liche Gehälter zu bekommen.
Den Umgang mit der Macht lernt Frede-
riksen in „Borgen“, jenem kleinen Kosmos,
zu dem der „Folketing“, das Parlament, und
Schloss Christiansborg gehören, der Re-
gierungssitz in Kopenhagen. „Borgen – ge-
fährliche Seilschaften“, so heißt auch eine
TV-Serie über Aufstieg und Fall der fikti-
ven Politikerin Birgitte Nyborg. Die Serie
mit ihren Intrigen und Ränkespielen gilt
als europäische Version von „House of
Cards“, als Lehrstück. Frederiksen erlebt
Borgen live. Mit 24 wird sie das erste Mal
ins Parlament gewählt. Bald ist sie Vize-
chefin der sozialdemokratischen Fraktion.
Und es geht schnell weiter nach oben.
Nicht ohne Gegenwind. Immer wieder
wird Frederiksen mit Vorwürfen konfron-
tiert, sie sei eine Heuchlerin. Etwa als he-
rauskommt, dass sie ihre Tochter auf eine
Privatschule schickt, obwohl sie nur ein
paar Jahre früher wortgewaltig gegen jene
Eltern gewettert hat, die ihre Kinder dem
staatlichen Bildungssystem entziehen.
Oder im vergangenen Jahr, als sie mit ihren
zwei Kindern aus erster Ehe und ihrem
Verlobten Bo Tengberg, einem Filme-
macher, und dessen drei Kindern in ein
Haus nordwestlich von Kopenhagen zieht.
In der Presse heißt es, jetzt sei Frederiksen
in eine Reichengegend gezogen. Wein statt
Wasser. Die Sozialdemokraten winden
sich, umständlich verorten sie dieselbe
Adresse in einer Arbeitergegend.
Frederiksens Aufstieg hat das alles wenig
angehabt. Seit 2015 führt sie ihre Partei. Bei
den Wahlen in diesem Juni wurden die So-
zialdemokraten stärkste Partei. Da war klar:
Frederiksen wird die nächste Regierungs-
chefin. Sie ist jetzt, weil sie es wollte, ganz
oben – und für manche prominente Sozial-
demokraten auch außerhalb Dänemarks
ein Vorbild. „Mette Frederiksen hatte bei
ihrem drastischen Positionswechsel in der
Migrations- und Zuwanderungspolitik
keine Angst davor, in die Nähe der däni-
schen Rechtspopulisten zu geraten“, ju-
belte etwa in Deutschland Ex-SPD-Chef
Sigmar Gabriel in einem Kommentar.
Auch er ist einer, der stets propagiert hat,
die SPD müsse dahin gehen, wo es „laut
ist, wo es brodelt, manchmal riecht und
gelegentlich auch stinkt. Nur da, wo es an-
strengend ist, da ist das Leben.“
Frederiksen hat sich dieses Motto nun
in der Außenpolitik zu Herzen genommen.
Nach dem Twitter-Eklat mit dem anstren-
genden Donald Trump rief sie ihn an. Was
genau gesagt wurde, darüber schweigen
sich die Diplomaten aus. Aber bald melde-
te sich Trump zu Wort. Mette Frederiksen
war jetzt gar nicht mehr fies. Im Gegenteil.
Sie sei eine „wundervolle Frau“, sagte
Trump. „Wir haben eine sehr gute Bezie-
hung zu Dänemark. Wir haben uns darauf
geeinigt, später zu sprechen. Sie war sehr
nett. Sie hat mich angerufen, und das habe
ich sehr geschätzt.“ Liebesgrüße aus Wa-
shington. Binnen weniger Tage hat es
Frederiksen damit geschafft, Trump Kan-
te zu zeigen und ihm dennoch die Hand
entgegenzustrecken. „Gut gemacht, Frau
Ministerpräsidentin!“, twitterte sogar ein
Oppositionsführer.
Sie sei ein Listentyp, hat Mette Frederik-
sen einmal von sich behauptet, eine, die
Aufgaben nach und nach abarbeiten müs-
se. In der vergangenen Woche hat sie eini-
ges abhaken können: Grönland retten,
Trump bändigen, Weltruhm erlangen. Nicht
schlecht für eine Spätsommerwoche. Und
am Samstag dann auch noch das Altglas. 2
„ GUT
GEMACHT, FRAU
MINISTER-
PRÄSIDENTIN!“
Frederiksen mit Vater, ihren Kindern aus erster Ehe und ihrem Verlobten Erst kommt die Diplomatie, dann der Altglascontainer
42 29.8.2019