Der Stern - 29.08.2019

(Tina Meador) #1
FOTO: CHRISTIAN IRRGANG/STERN

Herr Kubicki, ein Kollege fuhr vor ein
paar Jahren mit Ihnen im Motorboot
aufs Meer, Sie passierten eine Yacht,
darauf zwei junge Frauen, Sie riefen: „Na,
Mädels, allein an Bord?“ Gelungener
Flirt?
Nein, eine falsche Erzählung. Das stimmt
nicht. Völliger Blödsinn. Das wäre auch
schlicht ungehörig!
Von Boot zu Boot flirtet man nicht?
Das macht grundsätzlich relativ wenig
Sinn. Meine „Liberty“ fährt 40 Knoten,
bei dieser Geschwindigkeit kann man sich
sowieso mit niemandem unterhalten.
Was geht heute beim Flirten nicht mehr,
was in Ihrer Jugend noch ging?
Die Perspektive war anders. Es waren die
Zeiten von Woodstock, es gab den Satz:
„Wer zweimal mit derselben pennt, gehört
schon zum Establishment!“
Kleiner Test : Was geht heute noch: tiefer
Blick?
In die Augen immer.
Kompliment: schickes Kleid?
Wenn ich mit meiner Frau einkaufen gehe
und jemand kommt aus der Kabine, kann
man das sagen.
Und zur Kollegin?
Eher nicht.
Hammer-Beine?
Niemals! Das wäre nicht mein Stil. Bei
einer Frau kann man zu Äußerlichkeiten
nur Gutes zu Kleidung, Frisur und Augen
sagen, alles andere ist tabu. Weil viele Frau-
en mit ihrem Körper hadern.
Sie gelten als gefürchteter Handküsser.
Warum tun Sie das?
Bei mir muss sich niemand fürchten. Bei
jemandem in meinem Alter ist der Hand-
kuss eine Geste der Hochachtung.

H


Finden Sie heutige Frauen verspannter?
Nein. Ich finde ohnehin das Schema „Alle
Frauen machen dies, alle Männer machen
das“ ziemlich schlicht.
Setzen jüngere Frauen andere Maßstäbe?
Auch nicht. Mit meinen Zwillingstöchtern,
Ende 30, rede ich gelegentlich über solche
Sachen. Eine ist Richterin und die andere
Geschäftsführerin eines Verbandes. Die
verstehen bestimmte Debatten auch nicht.
Diese hysterischen Schuldzuweisungen
wegen Diskriminierung.
Haben Ihre Töchter nie Diskriminierung
aufgrund ihres Geschlechts erlebt?
Sicherlich haben sie auch schon schlechte
Erfahrungen gemacht. Aber eine strukturel-
le Benachteiligung, die ihr berufliches Fort-
kommen behindert hat? Eher nicht. Aber
auch hier warne ich davor, alle Männer und
alle Frauen jeweils in eine Schublade zu ste-
cken. Auch Männer werden von Frauen
angemacht, manchmal sogar gestalkt.
Sie wollen behaupten, dass Männer ge-
nauso diskriminiert werden wie Frauen?
Nein, nicht genauso. Aber ich sage es einmal
so: Die Bezeichnung „alter weißer Mann“ ist
sicherlich nicht liebevoll, sondern zunächst
einmal diskriminierend gemeint.
Aber es heißt doch nicht, dass alle alten,
weißen Männer grapschende Widerlinge
sind. Es geht um Privilegien und Macht!
Ich habe nichts von grapschenden Wider-
lingen gesagt. Das war Ihre Wortwahl. Die
Diskussion mit meinen Töchtern war viel-
mehr: Werden sie benachteiligt wegen
ihres Geschlechts? Da sagen beide: Nein.
Mehr als 50 Prozent der jungen Juristen
sind weiblich, die meisten haben sogar
bessere Examina als die Männer.
Aber in Führungspositionen ...

... auch da rücken Frauen auf. Aber ja, es
stimmt: Es gibt Bereiche von Diskriminie-
rung.
Ein solcher Bereich ist Ihre Partei.
Quatsch, im Gegenteil: Verglichen mit dem
Anteil von Frauen bei den Parteimitglie-
dern ist der Frauenanteil in der Bundes-
tagsfraktion beispielsweise größer. Das
kann man beim besten Willen nicht als
Diskriminierung bezeichnen. Ich kann nur
sagen: All meine Versuche der Frauenför-
derung in der Landespartei sind leider sehr
oft an den Frauen selbst gescheitert. Ich
habe immer gefragt: Warum kandidiert ihr
gegeneinander und nicht nacheinander?
Frauen machen sich gegenseitig fertig?
Nein, von fertigmachen habe ich nichts
gesagt. Sie kandidieren lediglich gegen-
einander.
Und deshalb sind in Ihrer Partei nur
20 Prozent der Mitglieder weiblich?
Ich bedaure das. Wir möchten es anders.
Vielleicht liegt es an den Kampftechni-
ken von Männern wie Ihnen?
Ich weiß nicht, welche Kampftechnik Sie
meinen. An einer fehlenden Quote liegt es
jedenfalls nicht. In Schleswig-Holstein
mussten die Grünen auf kommunaler
Ebene ihre Quote zum Teil aufgeben, weil
sie nicht so viele Frauen fanden, die in
die Kommunalvertretung gehen wollten.
Was haben Sie gedacht, als 2013 Laura
Himmelreich im stern beschrieb, wie Ihr
Parteifreund Rainer Brüderle ihr sagte:
Sie könnten ein Dirndl auch ausfüllen!
Er hätte sich entschuldigen sollen. Aller-
dings war die Geschichte ziemlich komisch,
weil der Vorfall schon ein Jahr vorher pas-
siert ist. Die Geschichte lag offensichtlich
ein Jahr beim stern in der Schublade.

Interview: Judith Liere,


Franziska Reich


Strande, ein
Ortsteil von
Kiel, gleich am
Yachthafen.
Zwei Stunden
lang unterhielten
sich Wolfgang
Kubicki, Franzis-
ka Reich und
Judith Liere (M.)

68 29.8.2019
Free download pdf