Mit „Sagen, was Sache ist!
Über Machtspiele, Hinterzim-
mer und den Mut zum Urteil“
hat Wolfgang Kubicki seine
private und politische Autobio-
grafie vorgelegt. Das Buch erscheint am
- August bei Econ (240 Seiten, 22 Euro).
„Quartalsirrer“.
Solche Bezeichnungen wurden mir von Leu-
ten angehängt, die verhindern wollten, dass
ich was werde. Hat ja nicht funktioniert.
„Intrigant“.
Nein! Ich sage nichts hinter dem Rücken,
was ich nicht auch ins Gesicht sage.
„Selbstgefälliger Schnösel“.
Schnösel? Weiß ich nicht. Selbstgefällig?
Stimmt. Schon in der Bibel steht: Liebe
deinen Nächsten, so wie dich selbst. Es ist
also gottgefällig, dir selbst zu gefallen.
Diese Bibelsprüche haben Sie drauf.
Ich war mal Bibellehrer.
Da haben Sie sich die besten 20 Sprüche
rausgesucht?
Sie würden sich wundern! In meiner Bibel
ist fast alles unterstrichen. In zwei Farben.
„Harter Hund“?
Kann ich sein.
Weinen Sie auch mal?
Sicher, es gibt Filme ... „Marley & ich“ zum
Beispiel – über einen Labrador, der die
Familie eint und am Schluss stirbt. Auch
als ich in New York das Musical „Sunset
Boulevard“ gesehen habe, habe ich geheult
wie ein Schlosshund. Außerdem habe ich
auf dem sogenannten „Parteitag der Trä-
nen“ 1982 geweint, nach dem Ende der
sozialliberalen Koalition.
Sie hatten auch schon selbst richtig
verzweifelte Momente in Ihrem Leben ...
Ja, 1994. Es ging um die sogenannte Schön-
berg-Affäre ...
... Ihnen wurde vorgeworfen, sich beim
Verkauf einer ostdeutschen Mülldeponie
bereichert zu haben ...
... und ich komme nachts nach Hause, sehe
im Fernsehen: Haftbefehl gegen Kubicki.
Und denke: Deine Mutter liest das morgen
und fällt tot um. Nach einem wochenlangen
medialen Trommelfeuer gegen mich dach-
te ich: Wenn das aufhören soll, musst du
dich umbringen. Das ist ja auch praktisch
hier am Meer. Die eine Hälfte des Gehirns
sagt: Das wird kalt. Darauf die andere Hälf-
te: Wie wär’s mit Aufhängen? Ist kein Strick
da. Erschießen? Keine Waffe. Es ist so merk-
würdig. Das Gehirn redet mit sich selbst.
Sie waren allein zu Hause?
Nein, meine Frau schlief. Sie wirft mir bis
heute vor, dass ich ihr das nicht gesagt habe.
Letztlich haben Sie sich nicht umge-
bracht, weil es Ihnen zu kalt war?
Zu kaltes Wasser, keine Waffe, kein Gift. Ich
hatte mir eine Flasche Wein aufgemacht.
Da sagte das Gehirn: Geh erst mal ins Bett.
Am nächsten Morgen war es dann nicht
mehr so schlimm.
Waren Sie erschrocken über sich?
Eher erstaunt. Ich weiß jedenfalls, was in
Jürgen Möllemann vorgegangen ist.
... Ihrem Parteifreund, der sich 2003 mit
einem Fallschirmsprung getötet hat.
Haben Sie mit ihm über Ihre verzweifel-
te Nacht geredet?
Nein! Das gehört auch zum Macho-
Gehabe. Sie zeigen keine Schwäche! Nicht
gegenüber einem Wettbewerber – und das
war Möllemann, auch wenn wir eine inten-
sive freundschaftliche Beziehung hatten.
Vermissen Sie ihn?
Ich wünsche mir bis heute, er wäre nicht
aus dem Leben geschieden.
Seit zwei Jahren sind Sie in Berlin. Sie
haben immer gesagt: Dort werden Sie
zum Trinker oder zum Hurenbock ...
Mittlerweile bin ich sittlich und moralisch
gefestigt.
Wann kommt der Weißwein am Abend?
Nach einem Sitzungstag komme ich um 23,
manchmal auch um zwei Uhr nach Hause,
gehe noch mal gegenüber in die Bar und
trinke ein oder zwei Gläser Rotwein.
Das war’s dann auch.
Fühlen Sie sich manchmal alt?
Ach, Älterwerden gehört zum Leben zum
Glück dazu.
Hatten Sie schon mal das Gefühl, aus der
Zeit gefallen zu sein?
Nein.
#MeToo, „Fridays for Future“, Social
Media – die Welt verändert sich rasant.
Kommen Sie noch mit?
Muss ich überall mitmachen? Das wäre
wirklich albern. Ich bin zum Beispiel
sehr gern auf Facebook. Mir wurde ge-
sagt, ich dürfe keine langen Texte schreiben.
Mache ich aber. Und habe 55 000 Follower.
Haben Sie Verständnis für die radikalen
Forderungen der „Fridays“-Jugend?
Ja, aber nicht für Rigorismus und Alarmis-
mus. Wir ersticken nicht alle morgen!
Greta sagt: übermorgen schon.
Bei aller Liebe: Spätestens mit ihrer Segel-
reise über den Atlantik sieht man, dass es
in ihrem Umfeld mehr um PR geht als um
vorbildliches Handeln! Da ich als Liberaler
Erfolge nicht neide, sage ich: Bestens, das
macht ihr gut! Aber gegen die Nachrüstung
waren 300 000 Menschen auf der Straße.
Habe ich jetzt noch nicht gesehen!
Sie leben mit Blick aufs Meer, Boot und
viel Geld. Was ist für Sie Luxus?
Keine Termine zu haben.
Was vermissen Sie?
Nix.
Aber Sie werden kein Bundesminister!
Ich war kurz davor. Aber ich will das gar
nicht! Denn ich beneide niemanden, der
das macht. Die werden dauernd bewacht,
fremdbestimmt und verdienen – gemessen
an der Verantwortung – relativ wenig. Aber
es wäre schon reizvoll gewesen, eine deut-
sche Antwort auf Macrons europapolitische
Vorstellungen zu geben, die die Bundesre-
gierung bis heute nicht gegeben hat. Na ja ...
Schmerzt Sie das?
Im Gegenteil! Ich habe den tollsten Job! Als
Vizepräsident des Bundestags bin ich deut-
lich freier in meinen Entscheidungen ...
... und Sie ernten die meisten Lacher im
Bundestag! Können Sie sich ein Leben
ohne Politik überhaupt vorstellen?
Klar. Mit dem Boot nach Dänemark fahren,
sich mit Freunden treffen, was schreiben ...
Ich werde niemals nichts zu tun haben. (^2)
IN MEINER
BIBEL IST FAST
FARBEN“
ALLES
UNTERSTRICHEN.
IN ZWEI
72 29.8.2019