Der Stern - 29.08.2019

(Tina Meador) #1

FOTOS: ROLF-HERBERT PETERS/STERN


F


rau Becker, Sie haben selbst bis
Februar als Aktivistin im Ham-
bacher Forst gegen die Braun-
kohle gekämpft. Nun sind
ausgerechnet Sie enttäuscht,
weil sich Klimakämpferin
Greta Thunberg bei ihrem
„Hambi“-Besuch neben einer
vermummten Aktivistin ge-
zeigt hat. Warum?
Weil Vermummung nicht geht, das war im-
mer meine Meinung. Wer ernsthaft Klima
und Wald schützen will, braucht sich nicht
zu vermummen. Wenn ich Menschen mit
Hass im Forst erlebt habe, waren es Ver-
mummte. Aber das ist im Hambi leider
inzwischen die Regel. Es geht vielen der
heutigen Besetzer mehr um Randale und
Party als um das Klima.
Ein schwerer Vorwurf. Wie kommen Sie
darauf?
Viele der Bewohner im Hambi sind nicht
mehr die alten. Der Wandel begann im ver-
gangenen Oktober. Da besetzten Leute, die
wir nicht kannten, verlassene Häuser im
nahen Manheim. In dem Dorf, das für die
Braunkohle weichen muss, leben noch
einige Menschen. Die Besetzer stammten
offenbar aus der Hausbesetzerszene. Mit
einigen war nicht zu reden. Sie randalier-
ten, traten Türen ein, zerschlugen Fenster,
besprühten Wände. Eines Abends gab es

eine große Party im Garten eines besetzten
Hauses. Ich bin zum Chef der Sicherheits-
leute vom RWE und habe mit ihm aus-
gehandelt, dass die Party geduldet wird,
solange es keine Ausschreitungen gibt. Als
ich das im Partygarten verkündete, spürte
ich eiskalt: Was du machst, sehen hier
viele als ein No-Go. Mit Feinden redet man
nicht! Ich bekam aber auch Zustimmung
für mein Handeln.
Hat Sie das eingeschüchtert?
Nein. Mich hat aber entsetzt, dass niemand
der bislang friedliebenden Waldbewohner
gegen die rohe Gewalt einschritt. Ich ge-
hörte ja zu den Älteren, fühlte mich ein
bisschen verantwortlich, versuchte, wo
möglich, mich zu kümmern, zu helfen,
zu schlichten, zu trösten. An einem ande-
ren Abend hatten die Hausbesetzer Pflas-
tersteine auf einem Garagendach aufge-
häuft. Angeblich, um mit ihnen Rechte zu
vertreiben. Auch da redete ich mit der Poli-
zei, um zu deeskalieren. Am Ende räumten
die Besetzer die Steine weg – und an mir
klebte noch stärker der Ruf der Verräterin.
Sie wohnen tief in der Eifel. Wie kamen
Sie in den Hambacher Forst?
Anfang September 2018 fuhr ich zu einer
Großdemo. Ich war ganz gespannt auf die
Baumhäuser – mein Vater war Architekt.
Ein weißes Kugelhaus hat mich besonders
fasziniert – so liebe- und kunstvoll ge- 4

Von Rolf-Herbert Peters


„ VIELEN DER HEUTIGEN


BESETZER GEHT ES MEHR UM


RANDALE ALS UM DAS KLIMA“


Dorle Becker hat ein halbes Jahr als Klimaaktivistin im


Hambacher Forst gelebt. Sie hat Widerstand geleistet


und Wäsche gewaschen. Und mit Polizisten verhandelt.


Das war ihr Fehler


Abgehärtet: das
Bett von Dorle
Becker, eine Hän-
gematte im
Baumhausdorf
„Krähennest“ –
hier ein Morgen-
schnappschuss

GESELLSCHAFT


29.8.2019 83
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